Kommentar Überwachung Tor-Nutzer: Wer hat Angst vor der bösen NSA?
Die NSA hat wichtige Server des Tor-Projekts bespitzelt: Das war zu erwarten, denn die Rechnerliste ist öffentlich. Aber wir können uns auch wehren.
J a, ich bin ein Extremist – im Sinne der NSA. Ja, ich bekenne: Ich habe Tor und andere Anonymisierungsdienste genutzt und werde das weiterhin tun.
Ich beschäftige mich oft mit dem Thema und suche im Internet danach. Deswegen bin ich in der NSA-Datenbank XKeyscore vermutlich schon gespeichert. Wenn nicht, wäre ich empört. Ich hielte es für unerträglich, wenn das Imperium des Bösen mich für harmlos hielte.
Die Liste aller Tor-Server („The Onion Router“), also derjenigen Rechner, die die virtuelle Tarnkappe ermöglichen und meine unverwechselbare Rechneradresse (IP-Adresse) verschleiern, ist öffentlich und bekannt. Die NSA hat sie benutzt. Die chinesische Regierung nutzt die schon lange, um Tor in China zu sperren. So what?
61, ist Journalist, Blogger und Vorsitzender des Vereins „German Privacy Fund“.
Ja, ich habe etwas zu verbergen: Mit welchen Frauen ich mich treffe, meine sexuellen Vorlieben, meine beruflichen Kontakte, meine Steuerunterlagen, meine Gehaltsvorstellungen, das, was Informanten mir angeboten haben, welche Websites ich gern ansehe, meine privaten Probleme – mir fällt so viel ein.
Nein, ich poste nichts Privates auf so genannten „sozialen“ Netzwerken, und ich mülle Twitter nicht mit meinen Gefühlen zu diesem und jenem voll, um der „Netzgemeinde“ zu zeigen, dass ich zu ihr gehöre.
Defätisten, schlimmer als DAUs
„Wer anonymisieren will, wird deanonymisiert“, meldet die Tagesschau. Nein, so ist das nicht wahr. Wer anonymisieren will und dabei Anfängerfehler macht und sich nicht um Sicherheit kümmert, wird deanonymisiert – wie jeder andere auch, der wie ein dümmster anzunehmender Nutzer herumsurft. Die Techniken der kommerziellen und staatlichen Datensammler sind vielfältig, aber bekannt – und man kann etwas dagegen tun.
Ja, ich verschlüssele meine E-Mails und beantworte keine elektronischen Postkarten. Basta.
Da aber ist unbequem. Deswegen kümmern sich viele eben nicht darum. Viel schlimmer als diejenigen, die keine Ahnung von Sicherheit im Internet haben wollen, sind die Defätisten, die mit geheimnisvoller Miene murmeln: „Die sind eh schon drin. Man kann nichts tun.“ Das Einzige was sie erreichen könnten: Dass niemand mehr etwas unternimmt.
Ich bin nicht empört
Die Bösen sind noch böser, als wir dachten? Ja, und? Das Ende der Privatsphäre ist nahe? Wer so denkt, sollte sich gleich ins private Biedermeier zurückziehen oder bei einer Endzeitsekte einen Mitgliedsantrag stellen.
Die Geheimdienste dieser Welt spionieren alle Untertanen aus, mit oder ohne Auftrag der jeweiligen herrschenden Klassen, legal, illegal, ganz egal? Nein, darüber bin ich nicht empört. Ich habe das erwartet. Ich wäre überrascht, wenn es nicht so wäre, weil die das immer schon so getan haben, nur mit weniger perfiden und technisch ausgereiften Mitteln als heute.
Wer nach einer Reform oder gar einer Kontrolle der Dienste ruft, ist nicht nur naiv, sondern vergisst – oder ist nur zu feige – die Systemfrage zu stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“