Kämpfe in der Ostukraine: Propagandastreit um Luftangriffe

Das ukrainische Militär streitet mit den Separatisten über Opferzahlen nach der Luftoffensive - und mit den russischen Behörden über den Beschuss ihres Landes.

Angeblich durch Artilleriefeuer zerstörtes Gebäude nahe Donezk. Bild: reuters

DONEZK dpa | Bei neuen schweren Luftangriffen in der Ostukraine haben Streitkräfte nach eigenen Angaben Hunderte Separatisten allein in der Stadt Dserschinsk getötet. Die prorussischen Aufständischen wiesen die Zahlen als nicht zutreffend zurück, bestätigten allerdings den massiven Beschuss mit Raketen. In Dserschinsk - nahe der Großstadt Donezk – gebe es keine solche Zahl an Kämpfern, betonte ein Separatisten-Sprecher der Agentur Interfax zufolge am Samstag.

Der Sprecher der von Kiew geführten „Anti-Terror-Operation“, Wladislaw Selesnjow, teilte mit, bei den Luftschlägen in den Regionen Donezk und Lugansk seien rund 1.000 Separatisten getötet worden, davon allein 500 in Dserschinsk. Dabei seien auch Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie Waffentechnik zerstört worden. Auch andere Militärsprecher wiederholten die Zahl.

„Er (Selesnjow) kann erzählen, was er will“, sagte der selbst ernannte Verteidigungsminister der nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“, Igor Strelkow (Girkin). „In der ganzen Garnison Dserschinsk gab es nur halb so viele Leute“, betonte er. Die meisten Kämpfer seien abgezogen gewesen. Es sei nur ein Kämpfer verwundet worden.

Erster Toter auf russischem Gebiet

Bei den Kämpfen kam es nach Moskauer Behördenangaben erstmals auch zu einem tödlichen Zwischenfall auf russischer Seite. Ein 45 Jahre alter Mann sei beim Einschlag eines Munitionskörpers in seinem Haus im Gebiet Rostow getötet worden, teilte der Sprecher der Nationalen Ermittlungsbehörde, Wladimir Markin, mit. Zudem sei eine Frau in dem Haus durch die Druckwelle des Geschosses verletzt worden.

Moskaus Vize-Außenminister Grigori Karassin kritisierte im russischen Staatsfernsehen Rossija 24 die neuerliche Grenzverletzung und kündigte eine Antwort an. Die eskalierende Gewalt sei eine „Gefahr für unsere Bürger nun auch auf unserem Territorium. Es ist klar, dass das natürlich nicht ohne Reaktion bleiben wird“, sagte Karassin. Der Vorfall zeige, dass dringend eine neue Waffenruhe sowie die Rückkehr zum Verhandlungstisch nötig seien.

Die ukrainische Regierung dementierte, für den Beschuss verantwortlich zu sein. Ukrainische Sicherheitskräfte würden nicht über die Grenze schießen, erklärte der Sprecher des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Andrej Lissenko. „Wir haben nicht geschossen.“

Luftangriff auf Donezk?

Bei schwerem Artillerie-Beschuss durch Regierungstruppen seien im Donezker Vorort Marjinka mindestens 30 Zivilisten getötet, erklärte Igor Strelkow. Der Beschuss dauere an. „Wir haben Kenntnis von 30 Toten. Aber noch nicht alle Trümmer sind beseitigt. Es kann noch mehr geben“, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Die prorussischen Kräfte seien intensiv mit der Evakuierung von Ortschaften beschäftigt. Auf Seiten der Aufständischen habe es keine Verluste gegeben.

Die prorussischen Kräfte meldeten zudem den Abschuss eines ukrainischen Kampfbombers vom Typ Suchoi Su-25 in der Stadt Gorlowka. Der ukrainische Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung (SNBO) teilte am Samstag mit, seit dem Vorabend seien fünf Soldaten getötet und etwa 30 weitere verletzt worden. SNBO-Sprecher Andrej Lyssenko bezeichnete die Lage als „gespannt“. „Das Militär setzt die Angriffe fort“, betonte er.

Nach Angaben der Stadtverwaltung in Donezk hielt sich Bürgermeister Alexander Lukjantschenko in Kiew auf, wo er auch mit Präsident Petro Poroschenko sprach. Dabei sei es auch um einen möglichen Luftangriff auf Donezk gegangen. „Erörtert wurden Schritte, um ein Blutvergießen zu verhindern und um keine Luftwaffe und schwere Artillerie in der Stadt einzusetzen“, teilte das Bürgermeisteramt mit.

Eine Bombardierung der ursprünglich von rund einer Millionen Menschen bewohnten Stadt hätte verheerende Folgen. Die Separatisten hatten angesichts drohender Militärschläge angekündigt, Hunderttausende Menschen in Sicherheit bringen zu wollen – vor allem ins benachbarte russische Gebiet Rostow am Don.

Tausende Flüchtlinge

Russische Behörden berichten von einer „humanitären Katastrophe“ auf ihrem Staatsterritorium. Rund 21.000 Flüchtlinge hielten sich demnach am Samstag in den insgesamt 321 eingerichteten Übergangslagern auf, wie das Zivilschutzministerium mitteilte. Insgesamt 30 Regionen würden inzwischen Ukrainer aufnehmen.

Die aus dem Kriegsgebiet geflüchteten Menschen kommen bisher mehrheitlich bei ihren Verwandten, Bekannten und bei Freiwilligen unter. Die Gesamtzahl der aus der Ostukraine Übergesiedelten liegt nach Angaben der russischen Migrationsbehörde bei rund einer halben Million Menschen. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es nicht.

Die Kämpfe in der Ostukraine dauern seit Mitte April an. Die ukrainische Führung will mit dem militärischen Vorgehen verhindern, dass sich die nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk komplett abspalten von der Ukraine. Die russisch geprägte Region Donbass erkennt die proeuropäische Führung in Kiew nicht an. Friedensbemühungen - auch unter Vermittlung Deutschlands - hatten bisher zu keinem greifbaren Ergebnis geführt.

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