: „Das Thema Wohnungsknappheit haben wir verschlafen“
STADTENTWICKLUNG Um den Bau günstigen Wohnraums zu ermöglichen, will die SPD ein dickes Paket schnüren: Eine Milliarde Euro sollen bis 2017 investiert werden, sagt der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh
■ Saleh wurde 1977 in der Nähe von Nablus im Westjordanland geboren. In Spandau machte er Abitur. Saleh hat eine Medienfirma.
■ 2002 trat Saleh in die SPD ein und zog 2006 über ein Direktmandat erstmals in Abgeordnetenhaus ein. 2011 wurde er Fraktionschef.
■ Nachdem mit Jan Stöß 2012 ein weiterer SPD-Linker Landeschef wurde, bilden Stöß und Saleh das neue Machtzentrum in der Partei. (taz)
INTERVIEW UWE RADA UND BERT SCHULZ
taz: Herr Saleh, sitzen wir hier bei Ihnen im Zentrum der Macht?
Raed Saleh: Sie sitzen hier im Büro des Fraktionsvorsitzenden.
Die SPD spricht derzeit mit vielen Stimmen.
Es gibt eine einzige SPD. Das schließt nicht aus, dass wir um die besten Lösungen für die Stadt ringen. Da leistet die SPD-Fraktion ihren Beitrag. So wie auch der Landesverband und der Senat.
Ist Ihnen das Tempo im Senat manchmal zu langsam?
Der Senat macht einen hervorragenden Job. Aber wir haben das Thema Wohnungsknappheit lange nicht ernst genommen. Wir haben das verschlafen.
Also drücken Sie aufs Tempo.
Das ist doch normal, dass bei einem solchen Thema auch die Fraktion und die Partei ihre Vorschläge einbringen. Das ist wie bei einer Firma, der es darum geht, das beste Produkt zu entwickeln. Da fließen dann verschiedene Sichtweisen ein – und am Ende gibt es ein Ergebnis.
Sie und Landeschef Jan Stöß haben nun ein 775-Millionen-Programm vorgeschlagen, mit dem die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den Neubau einsteigen sollen. Ist das mit den Gesellschaften abgestimmt?
Wir wissen, dass die Wohnungsbaugesellschaften in dieselbe Richtung denken. Wir haben zurzeit einen sehr günstigen Zinssatz. Wenn man baut, dann muss man jetzt bauen. Aus den Gesprächen mit den Gesellschaften wissen wir, dass die das auch wollen.
Das verändert aber das Geschäftsmodell. Bislang sollten die sechs Gesellschaften Geld einspielen. Nun sollen sie bauen. Da braucht es neue Zielvereinbarungen. Das ist nicht die Aufgabe von Ihnen und Jan Stöß, sondern die des Senats.
Neue Situationen erfordern neue Ideen. Die Situation in Berlin ist erfreulich. Berlin wächst, aber wir brauchen Wohnraum. Da reicht das Engagement der Privaten nicht.
Das erklärt auch das Tempo, mit dem Sie und Herr Stöß auf die Auflösung des Liegenschaftsfonds zum Ende des Jahres drängen. Wenn es den nicht mehr gibt, ist es ein Leichtes, die noch vorhandenen Grundstücke an die Wohnungsbaugesellschaften zu überschreiben.
Die Möglichkeiten bestehen jetzt schon. Das hat der Finanzsenator ausdrücklich gesagt.
Er tut es nur nicht.
Wir haben mit der Vorlage für eine neue Liegenschaftspolitik einen ersten Schritt gemacht. Der hieß: Grundstücke werden nicht mehr automatisch nach dem Höchstgebot verkauft. Gleichzeitig wurde die Gewinnerwartung für dieses Jahr schon von 130 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro reduziert. Die Auflösung des Liegenschaftsfonds wäre der zweite Schritt. Die Grundstücke wären dann bei der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) und müssten gar nicht verkauft werden.
Ist das nicht ein sozialdemokratisches Denken aus den 70er Jahren? Es gibt eine Wohnungsknappheit, auf die man reflexartig mit der Erweiterung des Angebots reagiert. Und dabei setzt man auf die guten alten Bekannten, die SPD-nahen Wohnungsbaugesellschaften. Aber es gibt doch längst mehr Akteure, wie der Spreeraum zeigt: Baugruppen, Genossenschaften, sozial engagierte private Akteure.
Ich sage doch ausdrücklich: Das ist ein Bündel an Maßnahmen. Das Thema wachsende Stadt geht uns alle an.
Werden Sie doch bitte mal konkret.
Wir sind schon sehr konkret. Wir wollen den Liegenschaftsfonds auflösen. Wir wollen, dass die Wohnungsbaugesellschaften selber bauen. Die müssen dafür 600 Millionen Euro an Krediten aufnehmen. Außerdem wollen wir den Bezirken mehr Personal geben, damit dort die Bauanträge schneller bearbeitet werden können.
Das betrifft nicht nur die Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch die Privaten. Die sollen ja auch bauen.
Ja, wir halten uns bei den Privaten an das Münchner Modell.
Das bedeutet, Sie wollen die Investoren verpflichten, einen Teil der Wohnungen billig zu vermieten, in dem Sie den Mehrwert abschöpfen, der durch die Ausweisung von Bauland entsteht.
Richtig. Da hat Berlin bislang immer nur 10 Prozent abgeschöpft. Bislang sind wir da noch zu zimperlich. In München oder Hamburg sind es bis zu zwei Drittel. Da können wir die Bauherren verpflichten, billige Wohnungen zu bauen, oder auch Kitas und Schulen. Aber die Privaten schaffen das nicht alleine. Da müssen wir als Land Berlin mit gutem Beispiel vorangehen.
Wann sollen denn die Neubauten den Markt entlasten können?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber die Alternative dazu ist doch, nichts zu tun. Wir müssen jetzt handeln. Deshalb sagen wir: Wir werden bis 2017 eine Milliarde Euro für den Bau günstiger Wohnungen in die Hand nehmen.
Wie kommen Sie auf diese Summe?
Das sind zum einen die 775 Millionen Euro, für die die Wohnungsbaugesellschaften bauen. 175 Millionen sind davon Eigenkapital, 600 Millionen werden über Kredite aufgenommen. Dann bekommen wir 32 Millionen Euro pro Jahr vom Bund für Wohnungsbauförderung. Es ist eine Überlegung im Senat, da nochmal die gleiche Summe aus dem Haushalt dazuzugeben. Das sind 64 Millionen Euro, in fünf Jahren also 320 Millionen Euro. Durch die Mehrwertabschöpfung der Ausweisung von Bauland kommt noch ein dreistelliger Millionenbetrag hinzu. Damit sind Sie weit über einer Milliarde.
Wie viele günstige Wohnungen wollen Sie damit bauen?
Das kann ich Ihnen im Moment noch nicht sagen.
Im Koalitionsvertrag steht, dass jährlich 6.000 Wohnungen gebaut werden. In der jüngsten Bevölkerungsprognose ist bereits von 10.000 notwendigen Wohnungen die Rede. Darunter sollten bislang 1.000 geförderte Wohnungen sein. Sagt der Bausenator.
Mit unserem Programm können wir mehr geförderte und günstige Wohnungen bauen.
Wie viele, können Sie uns nicht sagen?
Wir machen die Rahmenbedingungen. Bauen tun andere. Unser Ziel sind 340.000 Wohnungen in Landesbesitz bis Ende 2020, primär durch Neubau.
Auf welche Miete werden Sie da kommen?
Das müssen die Experten sagen. Da will ich mit keinen Zahlen spekulieren.
Die Wohnungsbaugesellschaften sagen immer, ohne Förderung können sie so bauen, dass die billigste Einstiegsmiete bei 8,50 oder 9 Euro netto kalt pro Quadratmeter liegt. Da müssen Sie dann ja deutlich darunter liegen.
Natürlich ist es notwendig, Wohnraum zu schaffen, der für die breite Mehrheit der Berliner bezahlbar ist. Die meisten können sich eben keine zehn Euro pro Quadratmeter leisten. Das ist klar.
Herr Saleh, Sie schauen derzeit gerne nach München oder Hamburg, wo man schon länger Erfahrungen hat mit neuen Ideen zum Wohnungsbau als in Berlin. In Hamburg gibt es mit der Saga nur eine Wohnungsbaugesellschaft. Berlin hat sechs. Wird das auf Dauer so bleiben?
Die Wohnungsbaugesellschaften machen eine gute Arbeit und haben sich bewährt.
Die Diskussion über eine Reduzierung wird bei Ihnen doch geführt, das können Sie nicht leugnen.
Wie gesagt: Sie haben sich bewährt.
Wie ist der Fahrplan für Ihr ehrgeiziges Wohnungsbauprojekt? Die Fraktion hat es beschlossen, nun soll es nach Ostern ins Parlament?
Wir sind in der Abstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister und dem Bausenator. Und natürlich auch mit dem Koalitionspartner.
Gibt Ihnen die CDU grünes Licht?
Der Koalitionspartner hat Zustimmung signalisiert.
Bei der Auflösung des Liegenschaftsfonds hat er Widerstand signalisiert. Wie geht denn die CDU mit dem Tempo um, das Sie vorlegen?
Ich bin überzeugt davon, dass die Forderung, den Liegenschaftsfonds abzuschaffen, konsequent ist. Und ich bin überzeugt davon, dass sich die CDU diesen Argumenten nicht verschließen wird.
Im Herbst ist Bundestagswahl. Glauben Sie, dass die SPD in Berlin da mit dem Mietenthema punkten kann?
Wir machen das, weil es notwendig ist für Berlin. Aber es ist die Bundesebene, die dafür sorgen kann, dass zum Beispiel die Mieten bei Neuvermietungen gedeckelt werden.
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