piwik no script img

Kontrolleur vor GerichtWiderstreitende Wahrheiten

Ein Kontrolleur ist angeklagt, weil er einen senegalesischen Schwarzfahrer misshandelt haben soll. Doch am Ende fühlen sich alle irgendwie als Opfer.

Fahrkartenkontrolleure fühlen sich immer wieder selbst als "Buhmänner". Bild: dpa

Am Ende ist nicht mehr ganz klar, wer in diesem Prozess nun das Opfer ist, und wer der Täter. Aber vielleicht ist das auch so eine Wahrnehmungssache. Sicher ist nur, so fasst es die Amtsrichterin zusammen, dass die Kontrolle „doof gelaufen“ ist, damals, im Bus 26, am Hauptbahnhof, gegen Mitternacht. Wie genau sich die Geschichte 2012 zugetragen hat, darüber kursieren verschiedene Wahrheiten. Je nachdem, von welchem Vorurteil man ausgeht. „Es kommen viele unterschiedliche Interessen zusammen“, sagt die Richterin.

Der Körperverletzung angeklagt ist der 26-jährige Zugbegleiter Rainer Matthias G., der damals noch „Kontroletti“ bei der Bremer Straßenbahn AG war. Er soll, so steht es in der Anklage, einen Fahrgast geschubst, sich auf ihn gestürzt, ihn mit der Hand ins Gesicht gegriffen und ihn in den Schwitzkasten genommen haben.

Warum? Um ihn am Aussteigen zu hindern. Weil er ein Schwarzfahrer war. „Er wollte sich mit aller Gewalt den Weg aus dem Bus bahnen“, sagt G. über den „farbigen, äh, dunkelhäutigen Fahrgast“. Er selbst hingegen habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“, sagt er vor Gericht. Wobei ihm, er betont das, natürlich, die Hautfarbe, die Herkunft des Herrn M. egal sei. Und doch spielt sie hier eine Rolle.

Der 34-jährige Senegalese hatte zwar eine Monatskarte. Aber keinen Nachtzuschlag. Zumindest konnte er das Extraticket – Kosten: ein Euro – nicht vorweisen, als die Kontrolleurin K. kam. Er habe davon auch nichts gewusst, sagt er im Prozess, und dass er seinerzeit erst seit ein paar Tagen überhaupt in Deutschland war. Was er von all dem, was sie zu ihm gesagt haben, überhaupt verstanden hat – unklar. Verschiedene Leute haben dazu verschiedene Meinungen, je nach Sichtweise.

Im Bus nachlösen kann man den Nachtzuschlag nicht. Und das Angebot anderer Fahrgäste, M. auf ihrem Ticket mitzunehmen, lassen die Kontrolleure nicht gelten. Da ist die BSAG „leider sehr unkulant“, sagt G. Also wollte er dem M. ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 40 Euro aufdrücken. Und forderte seinen Pass. Schwarzfahren ist „kein Kavaliersdelikt“, sagt die Kontrolleurin K., sondern „eine Straftat“. Für sie war er einer unter vielen. Seinen Ausweis gezeigt hat M. aber erst, als die Polizei kam. Der Kontrolletti habe ihm „am Schlawittchen gepackt“, sagt M. im Zeugenstand: „Ich wurde gleich angegriffen.“ Und da alles „kein Problem“ gewesen wäre, wären die Kontrolleure ruhig geblieben. „Ich bin doch kein Tier.“

Zwar gibt es ein Bordvideo von Geschehen, wenn auch ohne Ton. Doch auch über den Inhalt dieses scheinbar objektiven Beweisstücks gehen die Interpretationen auseinander, insbesondere bei der Frage, wer mit der Gewalt angefangen hat. Herr G. spricht von einem „wilden Tumult“ und „wüsten Beschimpfungen“ und das überall Fäuste geflogen, Menschen über Sitze gesprungen seien.

Er selbst soll den Senegalesen, und dieser Vorwurf könnte am Ende an ihm hängen bleiben, dabei als eine Art Schutzschild benutzt haben. G. sieht sich als Opfer: „Wir waren immer die Buhmänner“ und Gewalt gegen Kontrolleure „an der Tagesordnung“. Er erlitt Prellungen am Knie, war arbeitsunfähig, macht heute einen anderen Job.

Zwei Zeuginnen, die sich zivilcouragiert für den Senegalesen engagierten, sprechen wiederum, beide, von „krasser Aggression“, die von Seiten der insgesamt sechs Kontrolleure im Bus ausging. Einer von ihnen soll M. die Brille zertreten haben. „Wir dürfen uns nur schlagen lassen“, sagt Frau K. dagegen, und „können nur abwehren“.

Am Ende hätte die Amtsrichterin den Prozess gerne eingestellt – wegen allenfalls geringfügiger Schuld. Doch das will Herr G. nicht: Das sei „unfair“. Es könnte „seine berufliche Existenz zerstören“, sagt sein Anwalt.

Der Prozess wird fortgesetzt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!