: Das Kopyshop Kapitel 22: So weich, so sanft, so zart
Was bisher geschah: Ein Schuhgeschäft am Potsdamer Platz bietet Unterschlupf
Professor Phäno und Professor Median wanderten durch die Regalreihen und betrachteten sich die Schuhe: Espadrilles und Crogs, Sandalen und Sneakers, Stiefel und High Heels.
„Wenn man die Vielfalt und Ornamentik der Fußbedeckung betrachtet, wirft das ganz neue Ansätze für eine Gottestheorie auf“, sagte Professor Phäno. „Vielleicht beten die Heloten ja ihre Füße an und so ein Schuh ist wie ein Schmuckschuber für das Heiligste.“
„Ein Planet von Fußfetischisten? Sie machen sich total lächerlich, Professor Phäno. Heilige Einfalt spricht aus Ihren Worten.“ Professor Median schnob durch die Nase. „Schauen Sie sich doch mal um, das sind fast alles nur Helotenweibchen, die sich hier tummeln. Die Männchen sehen so aus, als habe man schweren seelischen Druck auf sie ausgeübt, um sie hierher zu bringen. Auch die Halbwüchsigen sehen weder erleuchtet noch glücklich aus.“
„Weibliche Priesterinnen, Vestalinnen, die im Tempel mit Hilfe von Schuhen ihre heilige Pflicht versehen. Ein uralter Ritus.“ Professor Phäno war nicht zu bremsen. „Jeder brennt darauf, seinen Erstgeborenen in den Tempel zu führen, wo ihm neue Schuhe angepasst werden.“
„Dieser Erstgeborene sieht so aus, als wäre er gerne woanders.“ Professor Median zeigte auf einen Jungen, der missmutig auf ein Paar braune Halbschuhe starrte, die ihm eine Verkäuferin anprobieren wollte. Er schüttelte ständig den Kopf, dann zog er seine Socken aus.
„Die Vestalin scheint mit ihren Kräften am Ende zu sein.“ Professor Median beobachtete den Vorgang gebannt: „Aber sehen Sie nur, auch die Halbwüchsigen haben fünf Zitzen an den unteren Extremitäten. Das unterzieht ihre Lehrbuchtheorie mit den Busenbrüsten einer harten Probe.“
Professor Phäno runzelte die Stirn. „Ich bin mir sicher, der Erste Maat C2H5OH könnte uns eine Menge über den Körperbau der Helotin erzählen, aber er schweigt sich aus. Wo ist sie überhaupt?“
„Ist das Ihr Hund?“, raunzte die Schuhverkäuferin und zerrte Major Canis an der Leine hinter sich her.
„Ja, vielen Dank, da ist ja unser kleiner Augapfel wieder, nicht wahr Großmutter?“ Jenny gab sich betont überschwänglich.
„Sie und Ihr Hund: raus.“ Die Verkäuferin deutete mit dem Daumen auf die Tür. Draußen fuhr gerade ein Polizeiauto vorbei. Auf einer Großbildleinwand mit Nachrichten lief der Fahndungsaufruf der Polizei für die Diebe, die ein Stück Stein aus dem Brandenburger Tor gesägt hatten. Leider gab es in dem Beitrag auch ein ziemlich gutes Phantombild von Major Canis. Die mürrische Verkäuferin sah sehr interessiert auf den Teacup Chihuahua mit dem Steinkeil auf dem Rücken, ließ aber ab, als ihr eine wartende Kundin ins Ohr plärrte.
FP Chi humpelte zur Tür und rief C2H5OH zu: „Wir verlassen das Gebäude durch den Hinterausgang, sofern es einen hat.“ Zu Jenny sagte er: „Unsere Professoren, wo sind sie?“
Professor Median hatte Jenny schnell gefunden. Eine Mutter hatte ihn so gegen die Wand gequetscht, dass er blau angelaufen war. „Wenn du noch einmal die Zehen von meinem Sohn auch nur anschaust …“ Jenny gab der Frau einen kräftigen Schubs und zerrte Professor Median hinter sich her. „Wo ist Phäno?“, fragte sie atemlos. „Wir müssen abhauen.“ Professor Median deutete ohne zu Zögern auf eine Tür, auf der „PERSONAL“ stand. Dahinter fand Jenny Professor Phäno, der gerade Feinstrumpfhosen in sein Laborgefäß mit dem blauen Deckel stopfte: „So weich, so sanft, so zart“, murmelte er unablässig vor sich hin. Als er den zerzausten Kopf seines Kollegen sah, nickte er nur: „Es ist eine Fußreligion.“ Die drei gingen zügig, aber ohne übertriebene Hast zur Rolltreppe, wo FP Chi, C2H5OH und Major Canis auf sie warteten. „Nach unten in die Einkaufspassage, dann durch die Tiefgarage und dann mit dem Taxi zurück in das Kopyshop.“
Die Blipiden folgten ihr, aber als Jenny in der Shopping Mall den Weg zur Tiefgarage einschlagen wollte, blieben ihre Begleiter stockstarr stehen. „Seht nur“, flüsterte Professor Median. „Die Minen. Wir haben die Marshmallowminen gefunden.“
Hinter einer Glasscheibe türmten sich Marshmallows bis zur Decke. Es war die Dekoration eines Supermarkts, aber das wussten die Blipiden nicht. Sie wussten überhaupt manches nicht. „Erster Maat, stellen Sie bei Major Canis die niedrigste Lasertemperatur ein“, sagte FP Chi. „Wir dürfen unsere Beute nicht verschmurgeln.“
„Das ist doch Wahnsinn“, entfuhr es Jenny.
„Ruhe jetzt, Helotin. Unsere Mission erfüllt sich hier“, wies sie Professor Phäno zurecht. Die Augen von Major Canis leuchteten blau.
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