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Kolumne Geht's noch?Der Terror des Argwohns

Ines Kappert
Kolumne
von Ines Kappert

Jetzt ist etwas sehr Erfreuliches passiert: Tunesien hat es geschafft und wieder fair gewählt. Das ist unsere zweite Chance.

Expertinnen, haut Eure Expertise raus und freut euch! Bild: Reuters

W ir hatten es nicht vor, aber jetzt lesen oder schreiben wir eben doch jeden Tag über den Nahen Osten. Also über den Terror dort, der schlimmer und schlimmer wird. Und das jetzt schon seit Jahren. Wie soll man das aushalten? Uns quellen die blutigen Geschichten längst aus den Ohren und sie hängen uns auch zum Hals heraus.

Doch jetzt ist etwas sehr Erfreuliches passiert. Tunesien ist es gelungen, die zweite faire Wahl abzuhalten. Damit nicht genug! Anstandslos haben die regierenden Islamisten dem säkularen Sieger gratuliert und treten jetzt ordnungsgemäß ab. Das Land, in dem die Arabellion begann, geht seinen Weg in Richtung Demokratie. Das ist die wunderschöne Nachricht der Woche. Doch wo ist die Begeisterung?

Wo sind die westlichen Politiker, die jetzt posaunen: Wir haben es schon immer gewusst, Tunesien ist unser Freund, unsere Tür in die arabische Welt! Studis aller Fachrichtungen, kommt an unsere Universitäten! Wir bilden Euch aus – und dafür macht ihr später schon aus lauter Dankbarkeit mit uns Geschäfte?

Los Politiker, schmeisst Eure Thinktanks an! Expertinnen, haut Eure Expertise raus und schmiedet Konzepte, wie man all die vernünftigen Tunesier unterstützen kann, damit ihr Beispiel ausstrahlt. So wie es 2011 die Verzweiflung des Gemüseverkäufers Mohamed Bouazizi 2011 tat und sein Selbstmord die Aufstände gegen die Diktaturen entfachte. Was hält Euch auf?

Ja klar, der retardierte, demokratieunfähige Araber war natürlich kommod. Er sicherte dem Westen die Position des besseren Menschen. Aber die ist ohnehin verloren – angesichts der seit Jahren im Nahen Osten planlos bombenden Amis, der EU – ach Gott, die EU – und der bei jeder humanitären Katastrophe, ja bei jedem humanitären Problem (siehe Flüchtlingspolitik) kapitulierenden deutschen Politik.

Was kann uns dauerausgelaugten Westlern also Erfrischenderes passieren als diese demokratieversessenen Anderen, die entschlossen ihr Leben für ein besseres riskieren? Nichts, genau. Hoch die Tassen!

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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4 Kommentare

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  • Sowas find ich gut!!!

  • Sehr grobschlächtier kurzer Kommentar.

     

    In Tunesien gibt es seit 3 Jahren Schwierigkeiten unter den politischen Strömungen sich zusammenzutun: v.a. in den sozialdemokratischen, liberalen, sozialistischen, der KP, den Baathisten, Trotzkisten, und die antiautoritäre Jugend.

     

    Der Ennahda-Wahlkampf wurde 2012- stark aus Saudi-Arabien finanziert.

    Auch Erdogans AKP hat eine Stiftungsfiliale in Tunis - wie die FES.

     

    5000 Kämpfer aus Tunesien in Syrien.

     

    Ja, in Tunesien werden die Revolten und Unruhen weitergehen - wenn es nicht wirklich entscheidende soziale und rechtliche Verbesserungen gibt.

    Das ist ne klare Ansage: Geld her!

     

    Und wenn die Ennahda-Komplizen weiter Attentate begehen wie gegen Belaid und Brahmi, dann wird es wieder eine Sicherheitsstaatliche Tendenz geben - wie unter Ben Ali und heute in Ägypten mit Al-Sisi.

  • Vielen Dank für diesen Artikel! Mehr davon!

     

    Zeigen Sie uns, was neben dem Schlechten auch alles Gutes in der Welt geschieht. Es wirkt einfach schnell entmutigend, immer nur Negativschlagzeilen zu lesen.

     

    Klar ist es zentrale Aufgabe von Journalisten, Skandale und Korruption aufzudecken. Dennoch braucht es auch die Nachricht von positiven Entwicklungen, um Mut für Engagement zu gewinnen.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Kleine Korrektur: Der Gemüseverkäufer Mohamed Bouazizi beging 2011 nicht Selbstmord. Er übergoss sich zwar mit Benzin, und drohte damit in seiner Verzweiflung, um endlich seine Waage zu erhalten, welche ihm die Polizei illegal beschlagnahmt hatte, er hatte jedoch nicht die Absicht, sich anzuzünden.

    Zweite Korrektur: Das einzige, was u. a. deutsche Unternehmen vor der Revolution zur Wirtschaft in Tunesien beitrugen, war die Bezahlung tunesischer Arbeiter unterhalb des damals gesetzlichen Mindestlohns, und oft sogar ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsvertrag. Es ist zu vermuten, dass sich an dieser Praxis auch nun nichts ändern wird.