Thurston Moore über sein neues Album: „Ich wäre gerne Dichter“
Als Dada-Rock-'n'-Roll bezeichnet der Ex-Mastermind von Sonic Youth die Musik auf seinem Album „Best Day“. Auf Harfe und Geige habe er keine Lust mehr gehabt.
taz: Herr Moore, Ihr letztes Album haben Sie noch unter dem Namen Chelsea Light Moving veröffentlicht. Da wollten Sie nicht der Ex-Gitarrist von Sonic Youth sein, der jetzt solo spielt. Hat sich das geändert?
Thurston Moore: O ja, der Solo-Typ ist zurück. Ich hatte schon länger vor, ein ernsthaftes Album zu machen, während die Musik von Chelsea Light Moving beiläufig entstanden ist: Wir haben im Hinterzimmer eines Plattenladens gejammt. Die Texte sind improvisiert, zum Teil habe ich dafür Titel von Buchrücken aufgezählt. Das ist Dada-Rock-’n’-Roll. Es war auch eine Reaktion auf das Duo-Album „Demolished Thoughts“, das zusammen mit Beck entstanden ist. Seither habe ich die Akustikgitarre satt. Chelsea Light Moving war der erste Schritt in Richtung E-Gitarre.
Ihr neues Album „The Best Day“ klingt ganz offen nach Sonic Youth, minus Kim Gordon und Lee Ranaldo – Drummer Steve Shelley spielt ja mit.
Ja, es klingt danach, weil ich genau solche Songs schreibe. Soll ich mich jetzt anstrengen, um fremde Elemente reinzubringen? Als ich die Band für dieses Projekt zusammengestellt habe, hatte ich ursprünglich andere Ideen – zwei Schlagzeuger, Keyboards, Bläser … Aber mir wurde klar, was mir die klassische Bandbesetzung mit zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Gesang bedeutet. Es klingt weniger anspruchsvoll als bei „Demolished Thoughts“. Ich hatte keine Lust mehr auf Harfe und Geige, es fühlte sich einfach nicht mehr echt an. Übrigens ist „Demolished Thoughts“ ein Beck-Album geworden – ich hatte ihm gesagt, er solle es nach seinem Gusto mischen. Ich hätte das selbst ganz anders gemacht!
Aha. Ich dachte damals, Thurston Moore habe endlich seine eigene Stimme gefunden.
Meine eigene Stimme hört man eher auf dem neuen Album, auch wenn es nach Sonic Youth klingt. Das ist wohl meine Bestimmung als Songwriter. Klar, das ist ziemlich selbstreferentiell, aber das kennt man ja auch von anderen Bands wie The Replacements. Nehmen Sie Neil Young: Der stürzt sich gern ins kalte Wasser und macht schräges Zeug. Manchmal ist das aufregend, aber es geht auch mal total daneben (lacht).
Er kann es sich leisten.
Ja, sicher. Ich möchte hinter allem stehen, was ich veröffentliche. Darum habe ich mich auch hinter dem Namen Chelsea Light Moving versteckt, denn das war eher ein Quickie. Aber ich stehe auch zu dem neuen Album.
Thurston Moore, geboren 1958, zieht in den siebziger Jahren nach New York, wo er in Glenn Brancas experimentellem Gitarrenensemble spielt. Dort lernt er Lee Ranaldo kennen und gründet mit ihm und der Künstlerin Kim Gordon 1981 Sonic Youth, eine der einflussreichsten Bands der Post-Punk-Ära. Bis zur Auflösung 2012 veröffentlichen sie fast 30 Alben. Moore betreibt das Independent-Label Ecstatic Peace!, schreibt über Musik und unterrichtet Kreatives Schreiben an der Naropa University in Boulder, Colorado.
Album: Thurston Moore: "Best Day" (Matador/4 AD/Beggars)
Live: 16. 11., Gebäude 9, Köln, 18. 11., Räucherkammer, Wiesbaden, 19. 11., Ampere, München
Sonic Youth waren gefürchtet für ihre ausufernden Songs, etwa „The Diamond Sea“, meist zum Finale der Alben. Auf Ihrem neuen Album kommt das epische „Forevermore“ bereits an zweiter Stelle. Ganz schön gewagt.
Der Song dauert höchstens acht Minuten.
Er dauert elf Minuten und dreizehn Sekunden. Und eigentlich passiert währenddessen kaum etwas. Warum ist dieses Stück so lang?
Tja, ich wollte mutig sein. Das Stück funktioniert nur in dieser Länge. Es hat ja etwas sehr Monodynamisches, es beruht nur auf einer einzelnen Note. So entsteht meditatives Dröhnen. Durch die Wiederholung bekommt es etwas Geheimnisvolles, das ist herausfordernder für die Zuhörer. Live spielen wir es noch länger. Wir fangen gerne damit an, dann entfaltet es sich richtig. Auf dem Album klingt es vergleichsweise zurückhaltend.
Sie unterrichten Kreatives Schreiben an der Naropa University in Boulder, Colorado. Verstehen Sie sich selbst als Schriftsteller?
Als ich 1977 nach New York gezogen bin, hatte ich Ambitionen, Teil der Downtown-Poetry-Szene zu werden. Aber ich war mehr damit beschäftigt, ins CBGB’s zu gehen und Punkbands zu sehen. Allerdings waren die Dichter auch dort, ich habe Allen Ginsberg und Ted Berrigan bei einem Richard-Hell-Gig getroffen. Hell, Patti Smith und Tom Verlaine wurden auch als Dichter wahrgenommen. Poesie und Rock ’n’ Roll waren damals gleichrangig. Unsere Definition von Punk lautete: Dichter, die Rock ’n’ Roll machen. Ganz anders als in London. Es hat bis Ende der Neunziger gedauert, als mir der Kritiker Byron Coley Gedichtbände gegeben hat, von Leuten, die in den Sechzigern Underground waren: Es waren Matrizenabzüge! Ein Erweckungserlebnis, ähnlich, wie die erste Single der Buzzcocks in Händen zu halten. Da habe ich gemerkt, wie gerne ich Dichter wäre. Eines Tages hatte Anne Waldman eine Lesung an meinem alten Wohnort und sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, an ihrer Schule zu unterrichten.
Als Sie sich 2011 von Kim Gordon getrennt haben und das Ende von Sonic Youth bekanntgegeben wurde, fielen die Reaktionen heftig aus. Es scheint ein großes Bedürfnis nach einem „normalen“ Ehepaar in der Rockmusik zu geben. Waren Sie sich darüber bewusst, welchen Sturm Sie auslösen würden?
Ich finde es verletzend, dass diese Reaktionen ja auch die Frau treffen, mit der ich jetzt zusammen bin: Sie ist klug und feministisch eingestellt. Dass sie in der Angelegenheit als passives Dummchen behandelt wird, finde ich unerträglich. Die Kritik kam vor allem aus dem feministischen Lager, und da ging es um die Bestätigung des Klischees, dass ein Mann mittleren Alters sich eine jüngere Frau sucht. Abgesehen davon kennt niemand außer mir und den Beteiligten die Komplexität der ganzen Geschichte.
Sie haben sich mit Debbie Googe für das neue Album eine legendäre Bassistin ausgesucht. Darf man Parallelen zu Kim Gordon ziehen?
Nein. Kim hat bei Sonic Youth Bass gespielt wie eine dritte Gitarre. Deb kommt aus einer Shoegazing-Pop-Band, My Bloody Valentine. Sie sind musikalisch und menschlich völlig unterschiedlich.
Auf dem Titelstück des Albums, „The Best Day“, gibt es ein richtiges Gitarrensolo, aber es stammt nicht von Ihnen.
Das spielt James Sedwards, ein bemerkenswerter Gitarrist. Auf meinem nächsten Album wird er komplett die Leadgitarre übernehmen, denn er ist wirklich gut (lacht).
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