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Kommentar Europäischer MauerfallIm Schatten der Mauer

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Nur ziviler Ungehorsam kann die EU-Politik dazu bewegen, sich an den EU-Außengrenzen (wieder) völkerrechtlich korrekt zu verhalten.

Keine Nervosität: die „Europäischer Mauerfall“-Aktivisten in Berlin. Bild: imago/Christian Mang

I n Bulgarien reagierten Polizei und Politik nervös auf die Kunstaktion „Erster Europäischer Mauerfall“, die das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) anlässlich des 25. Jubiläums des Mauerfalls inszeniert hat. In Berlin indessen lässt der Innensenator seiner bräsigen Arroganz freien Lauf. In Stammtischmanier spricht er von Schändung der deutschen Maueropfer sowie von „Dieben“ und hofft mit der wohl bewusst unzutreffenden Wortwahl die Kunstfreiheit einschränken zu können. Gegen ihn läuft nun eine Anzeige wegen Verleumdung.

Hintergrund: Das ZPS hatte vor den Gedenkfeiern am 9. November die 14 weißen Kreuze zum Gedenken an die Mauertoten abmontiert, um sie zu ihren „Brüdern und Schwestern“, also zu den gegenwärtigen Maueropfern an Europas Außengrenzen, zu bringen. Die Kreuze sind inzwischen wieder an ihrem Ursprungsort.

Gemeinsam ist den Politikern in Deutschland und Bulgarien, dass ihnen die vom Berliner Aktionskünstler Philipp Ruch vorgenommene Verknüpfung der europäischen Außenmauern mit dem Gedenken an den Fall des Eisernen Vorhangs ungelegen kommt. Wenn ins kollektive Gedächtnis eingebrannt werden soll, dass Letzterer großes historisches Unrecht materialisiert, wie lässt sich dann die Festung Europa rechtfertigen?

Seit 2012 baut Bulgarien mit Hilfe von EU-Mitteln just an der Stelle, an der einst der Eiserne Vorhang Bulgarien vom Westen trennte, eine Hightech-„Eindämmungsanlage“ gegen Menschen auf, die vor allem aus Syrien fliehen. Heute geht es nicht mehr um die Konkurrenz politischer und ökonomischer Systeme, sondern um einen Schutzwall gegen Armut. Wieder aber wird das Versagen internationaler Politik auf dem Rücken der Normalbürger ausgetragen. Mehr als die Hälfte der syrischen Flüchtlinge sind zudem minderjährig.

Entlang einer 30 Kilometer langen Grenze soll nun ein drei Meter hoher Zaun aus Nato-Stacheldraht unterstützt mit Kameras und Wärmesensoren die EU vor ihnen „schützen“. Übertritt ein Hase oder ein Mensch die Demarkationslinie, setzten bewaffnete Grenzpolizisten binnen Minuten alles daran, die Flüchtenden zu fangen. Manche werden mithilfe von „Push-backs“ gewaltsam zurück in die Türkei deportiert, was völkerrechtswidrig ist – wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 festgestellt hat.

Kein Strom, kein Essen, kein Arzt

Andere landen in bulgarischen Flüchtlingslagern, etwa in der nahe gelegenen Grenzstadt Harmanli. Pro Asyl hat im August diesen Jahres dort Inhaftierte interviewt. Sie berichten, dass es dort weder Strom noch Essen noch einen Arzt gibt. „In dem Lager hatten ein paar Leute die Polizisten bestochen und eine Art Markt eröffnet. Sie brachte Dinge ins Lager und verkauften sie zu einem hohen Preis. In den ersten zweieinhalb Monaten haben alle Leute ihr Erspartes für Essen und andere Dinge ausgegeben“, erzählt ein ehemaliger Student der Erdöl- und Erdgastechnik aus Homs. Die bulgarische Regierung befürchtet angesichts von nur 8.000 registrierten Flüchtlingen bereits eine „humanitäre Katastrophe“ im Land.

Der EU kommen solche Missstände entgegen. Denn sie betreibt Flüchtlingspolitik allein als Abschreckungspolitik. Das Recht von Menschen auf menschenwürdige Behandlung, das auf der EU-Werteskala doch ganz oben steht – offiziell – kommt nicht zum Tragen.

Und auch die Politiker Bulgariens, das zu den ärmsten Ländern in Europa zählt und massiv mit Korruption zu kämpfen hat, sind froh um die neue Aufgabe als Türsteher Europas. Es ist ihre Chance, sich als Mitglied zu bewähren. Gleichzeitig bringt die Grenze auch Geld: Die EU hat das Unternehmen mit 6 Millionen Euro mitfinanziert. Daher erstaunt es nicht, dass es den bulgarischen Innenminister in die Bredouille bringt, wenn ausgerechnet deutsche EU-BürgerInnen, gegen den Grenzzaun vorgehen. Die kann man nicht einfach wegsperren und hungern lassen. Die haben ja eine Lobby – und vor allem den richtigen Pass.

Um so wichtiger ist es, dass die PassinhaberInnen endlich den Konsens aufbrechen, die EU könne dem Problem nur per Mauer Herr werden. Auch die DDR schützte ihr repressives System mithilfe einer Mauer. Was im Westen zurecht kritisiert wird – doch von KritikerInnen wie Angela Merkel auf EU-Ebene wiederholt und legitimiert wird.

Zusammenarbeit mit Gruppen vorort

Doch militärisch wird man die Menschen nicht davon abhalten können, ihr Leben retten zu wollen. Doch vielleicht geht es darum auch gar nicht, sondern vielmehr um Arbeitsplätze in der schattigen Mauerökonomie? Also dort, wo keiner genau hinsieht – aber Geld fließt. Selbst der Sprecher der Warschauer Frontex-Zentrale, Michal Parzyszek, gab im Gespräch am 12. 12. 2013 mit der Frankfurter Rundschau zu bedenken: „Zäune sind keine Lösung.“ „Wenn die Menschen kommen wollen, dann schaffen sie es auch. Wir können sie ja nicht erschießen.“ Hoffen wir, dass es dabei bleibt.

Es ist klar, dass die nationale wie europaweite Politik nur dann auch politisch und nicht mehr rein polizeilich beziehungsweise militärisch in Bezug auf Flüchtlinge handeln wird, wenn die breite Öffentlichkeit das von ihr verlangt. Noch immer – und auch Deutschland bremst hier massiv – gibt es keine europäische Flüchtlings-, Einwanderungs- und Verteilungspolitik. Stattdessen setzt man aufs Mittelmeer als die effektivste, da oft tödliche Grenze. Schätzungsweise 30.000 Flüchtlinge sind hier bereits ertrunken.

So unvollkommen die vom Zentrum für politische Schönheit initiierte Aktion am bulgarisch-türkischen Mauerzaun war – die harschen und nervösen Reaktionen auf sie, zeigen wie wichtig ein Schritt in diese Richtung ist. Jetzt muss der Protest weiter professionalisiert werden. Das Wissen, das etwa beim Widerstand gegen Castor-Transporte gesammelt wurde, sollte einfließen, genauso wie das von Flüchtlingen selbst. Wer kennt die Grenzen besser als sie? Auch Kooperationen mit lokalen Gruppen in den Grenzregionen sollten ausgebaut werden. Zentral ist die Verbindung von Aktion und Diskurs: Denn wir brauchen Transparenz. Die aber lässt sich angesichts des militärischen Apparates, der an den Grenzen agiert, nur noch mithilfe von zivilem Ungehorsam herstellen.

Kurzum: Die EU-Außenmauern lassen sich nur mithilfe einer europäischen Protestbewegung einreißen. Deutsche Ufos landen zu lassen, – auch wenn es sich nur um zwei schäbige Busse handelte – kann also nur ein Auftakt sein. Der aber ist jetzt gemacht.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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9 Kommentare

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  • Europa wollte die Märkte, Europa nicht. Die Folgen für die Menschen vor Ort, ist Europa mehr oder weniger egal. Ob Menschen fliehen müssen, weil sie Zuhause mit Waffen aus Europa bedroht werden, oder weil Ihnen vor Ort die Existenzen zerstört wurden und werden, weil Europa alles niederkonkurriert.

     

    Einen interessanten Beitrag, gab es auch kürzlich bei Panorama. Während früher Fluchthelfer, Menschen geholfen haben (gegen viel Geld versteht sich), aus der ehemaligen DDR, Menschen in die ehemalige BRD zu "schmuggeln" wurden diese Personen noch mit dem Bundesverdienstkreuz in der BRD geehrt.

     

    Heute werden Fluchthelfer, die auch nur anderen Menschen helfen nach Deutschland zu kommen in Deutschland kriminalisiert und als sog. "Schleuser" bezeichnet, und mit Gefängnis bestraft?

  • Frau Kappert bedient in ihrem Kommentar die altbewährte Fundamental-Opposition gegen jegliche Art von europäischer Grenzsicherung.

    Die von den "Schönheits"-Aktivisten kreierte Namensgebung versucht - in recht ahistorischer Analogie - mit Honeckers Mauer und Stacheldraht die EU-Außengrenzsicherung gleich mit zu diskreditieren (nach dem Motto Mauer gleich Mauer - damals wie heute).

    Heute illegale Grenzüberwindung - aber nicht um irgendeinem "Knast" zu entfliehen, sondern um irgendwo so reinzukommen, wofür man keine gültige "Eintrittskarte" hat (Aber ist doch schnurz: legal...illegal...sch...egal).

    Der aktionistische Tourist, der da mit dem Bolzenschneider (als total kreative "Kunstaktion") herumfuchtelt, ist im ärmsten EU-Land ganz sicher auf riesiges Verständnis gestoßen.

    Aber Hauptsache, die Szene in Kreuzberg etc. applaudiert der gelungenen Aktion - gegen die üblichen EU-Buhmänner samt Frontex. Auch die Menschenschmuggler, Schleusungsprofiteure und Schlepperbanden dürften sich über ein wenig Schützenhilfe from inside EU freuen.

  • So.Erstens ich bin eine Bulgarin.Zweitens - ich bin nicht für diesen Zaun.Drittens -Danke, dass ein Artikel endlich mal die Unzufriedenheit in Bg erwähnt.Viertens - es war nicht die Politik in BG, das waren die Menschen.Mit unterschiedlichen pol. Ansichten.Fünftens - Was man hier in De sieht, muss man nicht in Bg unbedingt auch so sehen - für mich war das der Höhepunkt des Zynismus eunes reichen, mächtigen EU- Mitglieds gg. kleineren Mitgliedern.So geht das nicht, wirklich.Entw. machen wir etwas ZUSAMMEN, oder gar nicht.Tollwütige Deutsche die mit steuergelder bezahlte infrastruktur kaputtmachen mit einer äußerst " originellen" Argumentation muss echt nicht sein.Dann auch noch dieser eine tag als urlaub in GR im Anschluß, weil man alles richtig gemacht....für die Flüchtlingen.Das ist doch...Hab Freunde in Bg, die eine Initiative gestartet haben, ihr Essen mit Flüchtlungen, die sich vor d Polizei verstecken, zu teilen.K.A. ob das Aktionskunst oder nur gute Erziehung ist, aber es gefällt mir besser.Mit den Geldern der Aktion konnte man so viel mehr machen, wär man nicht zu narzistisch

    • @ch lju:

      Sechstens: Sie sind offenbar noch nicht lange in Deutschland. Sonst würden Sie wissen dass Deutsche Linke IMMER. ALLES. RICHTIG machen.

      Denn die wissen viel besser was die Flüchtlinge wollen als diese selbst. Denn die Flüchtlinge haben keine Ahnung was sie von Deutschland/EU verlangen können. Erst die Deutschen Linken bringen denen bei wie man gegenüber deutschen Behörden auftreten muss.

      Beispiel gefällig? -> Kreuzberg

      • @MussManNichtWissen:

        Lange genug um zu wissen, was in Kreuzberg war und wie deutsche linke sind, aber auch das es DEUTSCHE INNENPOLITISCHE STREITKULTUR ist.Diese Aktion ist eine dicke nummer größer, denn sie überschreitet gewisse Toleranzgrenzen in interkulturellen Diskussionsrahmen.Ich hoffe, so was kommt nicht wieder vor.

        • @ch lju:

          Es geht denen ja hier nicht um Toleranzgrenzen sondern um "politische Schönheit". Und was schön ist bekanntlich Geschmacksache.

          • @MussManNichtWissen:

            Kannst du das nicht verstehen oder willst du das nicht verstehen?

            Nur um sicher zu gehen- solange man sich philosophische Fragen zur politischen Ästhetik stellt,darf man ruhig in einem fremden Land staatliches Eigentum zerstören .:-)

            Also...ich finde es politisch unschön, dass man in deutschland den moschegebetsgesang nicht so laut hören darf, wie die kirchlichen Glocken...Ich finde man muss vllt eine Kunstaktion veranstalten...Vllt die Kirchenglocken einer Kirche symbolisch zerstören ( dieses Bsp deckt nur ein kleines Teil der Unverschämtheit dieser Argumentation ).

            • @ch lju:

              Entschuldigung, daß ich den "Ironie"-Tag vergessen habe.

              Aber wenn man so etwas als (vorsichtige Variante) "Unverschämtheit" oder (realistische Variante) "kriminelle Handlung" bezeichnet dann ist man "Nazi", "Populist", "Anti-Ziganist", "Stammtisch" usw. Und darauf habe ich keine Lust. Ich warte lieber ab bis diese Spinner mit der Realität konfrontiert werden.

              • @MussManNichtWissen:

                Die Polizisten haben vor Ort nervös reagiert, weil sie nicht wussten wie sie reagieren sollen, wenn deutsche Hippies "einmarschieren" und aus ihrem klimatisierten Bus heraus irgendwelche seltsamen Aktionen an der Grenze ausführen wollen. Leider haben sich die Aktivisten nicht wirklich für die Flüchtlinge interessiert, denn haben sie etwa Nahrungsmittel oder sonstige Hilfe mitgebracht? Auch die bulgarische Bevölkerung vor Ort ist hungrig und krank - für diese gibt es aber keine hochtrabende Kunstaktion. Bulgarien ist das ärmste Land in Europa - es wäre also angebracht, erst einmal in Europa Hilfe zu leisten. Wenn es uns dann alle ganz dufte geht, können wir die "Mauer" abschaffen... Zudem hätte man die Aktion auch in Süditalien oder in Melilla ausführen können, da es in Bulgarien ja noch keine tote Flüchtlinge gab.