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Die WahrheitNach Beistrich und Faden

Die aktuelle Sprachkritik: Mehrdeutige Zeichensetzung lockt auf falsche Fährten. Dann klaffen Gemeintes und Gesagtes sturzweit auseinander.

Manche Zeichennutzer setzen das Komma auf sehr eigene Art. Bild: reuters

Zeichensetzung ist so unwichtig, dass viele Leute sie kurzerhand ignorieren. Auf Kommas zum Beispiel wird beim Simsen und Twittern, auf Facebook und bei WhatsApp und so weiter fast durchweg verzichtet. Dabei sind sie manchmal entscheidend. „Er will sie nicht“ besagt etwas anderes als „Er will, sie nicht“, um aus dem 2009 erschienenen „Sonderbaren Lexikon der deutschen Sprache“ zu zitieren. Im Alltag sind solche eindeutig mehrdeutigen Fälle rar, aber falsche oder fehlende Beistriche können dennoch die Aussage verändern.

„In Liebe und Dankbarkeit, nach einem erfüllten Leben, nehmen wir Abschied von“ beginnt eine Traueranzeige im Göttinger Tageblatt, mit der die Trauernden sich kurzerhand selbst ein erfülltes Leben attestieren. „Irland erzählt von Colm Tólbin, Edna O’Brien, Roddy Doyle“, kündet das Arte-Magazin eine Sendung aus der Reihe „Europa und seine Schriftsteller“ an, in der eher Tólbin & Co. von Irland erzählen dürften statt umgekehrt.

„Der Strom ist mal wieder ausgefallen“, erinnert sich ein Autor im Straßenmagazin Tagessatz an seinen Indienaufenthalt, „und so essen wir bei Handylicht Reis, Hughali, eine Art Maisbrei und Mandasi“ – und lässt die weniger indienerfahrenen Leser im Unklaren, ob es drei- oder viererlei Speisen waren. Manchmal ergibt sich unfreiwillig Absurdes wie in der Volksstimme Magdeburg: „Ein Toter und Elbfähren stellen Betrieb ein“.

Es stimmt, dass sich der gemeinte Sinn erschließen lässt. Ebenso stimmt, dass ein Fehler vorliegt, wenn Gemeintes und Gesagtes auseinanderklaffen. Selbst wenn sich beides wieder zusammenzwingen lässt, der Fehler lockt auf eine falsche Fährte: „Da gibt es die britische Investorin, die von der mageren Rendite enttäuscht“ … wurde? Nein, „die von der mageren Rendite enttäuscht, heute versucht, von der EU Fördermittel zu bekommen.“ (taz) Es fehlt das Komma hinter dem Relativpronomen „die“, das anzeigen würde, dass der Satz einen Schlenker macht und eine Partizipialkonstruktion eingeschoben wird, bevor er wieder der ursprünglichen Richtung folgt.

Es muss nicht immer das Komma sein. Bekanntlich wird, ob beim „6.000 Kilometer Radius um Brüssel“ (taz) oder beim „Shakespeare Rätsel“ (Titel einer Arte-Sendung, in der auch ein „Marlowe Experte“ zu Wort kam), gern der Bindestrich eingespart, obwohl es sich stets um ein (typischerweise ad hoc gebildetes) Kompositum handelt, nicht um drei beziehungsweise zwei Wörter. Sind diese Beispiele neu, so sind Bildungen wie die „Wilhelm Busch-Straße“ uralt, die scheinbar nach einem Herrn Wilhelm Busch-Straße benannt ist und folglich „Wilhelm Busch-Straße Straße“ heißen müsste.

Anführungszeichen breiten sich munter aus

Meist wird der Bindestrich bei Namensbildungen eingespart; manchmal auch anderswo, etwa wenn für seinen Defensivfußball „Italien berühmt berüchtigt“ (taz) ist: also nicht sowohl als auch, sondern diskriminierenderweise nur berüchtigt.

Während der Bindestrich auf der roten Liste der bedrohten Satzzeichen steht, breiten die Anführungszeichen sich munter aus. Da wird eine Wohnung in „’fast‘ zentraler Lage“ inseriert (Göttinger Tageblatt), ein „’kleines‘ Unterfränkisches Schachfestival“ angekündigt (Fachmagazin Schach), im Periodikum der Techniker Krankenkasse (ohne Bindestrich) kommt statt eines Männerexperten bloß „ein ’Männerexperte‘“ zu Wort, die Zeitschrift des Journalistenverbands Menschen machen Medien spekuliert: „Ist die taz … noch ’alternativ‘?“, und wenn im Programmheft eines niedersächsischen Literaturfests gefragt wird: „Was macht ein ’Meisterwerk‘ aus?“, so lautet die einfache Antwort: Wenn seine Qualität nur scheinbar besteht, anders als bei einem Meisterwerk.

Mag sein, dass das postmoderne Gewese akademischer Distanzierung und Dekonstruktion eine Nebenrolle spielt; sicher ist, dass meist interpunktionaler Unkenntnis die Hauptrolle zukommt. Oft soll mit Gänsefüßchen etwas akzentuiert werden; nur wäre dann dem Inserenten der „fast“ zentralen Lage ein Eigentor gelungen, da das zentrale Lockargument ein anderes wäre.

Apropos anderes: „’Sprachkritik‘ ist übrigens was anderes als diese Kolumne“, behauptete unlängst ein Leserbriefschreiber und hat recht, weil es sich bei dieser Kolumne nicht um „Sprachkritik“, sondern um Sprachkritik handelt. „’Sprachkritik‘ ist das, was ein Derrida oder ein Foucault macht“, meint der Leser und hat also abermals recht; zumal er Sprachphilosophie meint, vielleicht auch „Sprachphilosophie“. Recht hat er schließlich, wenn er drei Aufgaben benennt, nämlich „wie wirkt Sprache, wie hilft/hindert sie bei der Erkenntnis, kann sie überhaupt Wahrheit transportieren …?“

In der Tat, für die Antwort sind selbst winzige Zeichen, scheinbare Lappalien von Gewicht: Der richtige/falsche Gebrauch von Anführungszeichen hilft/hindert beim Beschreiben der Wirklichkeit, bei ihrer Erkenntnis, bei der Beförderung der Wahrheit und entscheidet mit über die Wirkung des Gesagten. Oder was „denken“ Sie, „liebe“ Leser?

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3 Kommentare

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  • Die Zeichensetzung ist nur die halbe Miete. Bei korrekter Benutzung mag sie hilfreich sein, doch Sprache ist eben viel mehr als nur Worte. Winzige Nuancen der Betonung können bei gleichen Begriffen in der verbalen Kommunikation oftmals sogar darüber entscheiden, ob das eine oder das genaue Gegenteil gemeint ist, und für solche Feinheiten stellt die Schriftsprache fast keine brauchbaren Unterscheidungsmöglichkeiten bereit.

    Weniger auffällig, dafür aber umso verheerender wirken sich derartige Dinge z. B. in vielen Verträgen aus, wo dann oftmals Gerichte in teuren Verfahren ziemlich unsinnig festlegen, was angeblich gemeint ist, wohl wissend, daß solche Urteile reine Spekulationen sind.

    Ganz allgemein wirken sich solche Feinheiten aber auch im Umgang mit- und untereinander aus. Unterschiedliche soziale Rangordnungen enthalten unterschiedliche Betonungformen und geben gleichen Begriffen häufig verschiedene Bedeutungen. Unterschiedliche Dialekte verstärken solche Probleme, und unzureichend gelernte Landessprachen sind in der Lage, mittels Kommunikation das Chaos zu vervollständigen.

    Doch wie für ziemlich alles gibt es auch hier eine einfache Abhilfe: Man verleugnet einfach, daß solche Probleme bestehen, und man unterstellt stattdessen dem anderen Böswilligkeit oder (wie es bei zivilen Rechtstreitigkeiten bereits üblich ist) man benutzt jedwede nur denkbare Form von Wortklaubereien, um daraus Vorteile zu ziehen.

    • @wxyz:

      kurz - mit Jöhten

      legst du's nicht aus -

      leg doch was unter…

  • Vorsitzender mit den

    knarrenden Lloyds

     

    Sie setzen die Kommas wie

    Heinrich von Kleist

    Tja so gehts beim

    Entwickeln der Gedanken

    beim Schreiben

    Ich schenkte im ein Blatt voll

     

    Er steht den Änderungsvorschlägen

    seines Vorsitzenden skeptisch gegenüber

    weiß sie aber zufriedenstellend

    einzubeziehen

    Beurteilung el Presidente

    Westfälisch Sibirien

    aka Süürland

     

    Rechtsberater Möllemanns

    Caritas-Vorsitzender

    Mensch