Kinofilm „Foxcatcher“: Souverän neben sich stehen
Bennett Millers Sportdrama „Foxcatcher“ erzählt die wahre Geschichte eines Milliardärs, der zwei Brüder in einem Ringercamp auf Olympia vorbereitet.
Vom Rücken eines Pferdes bekommt der Mensch eine Perspektive auf die Welt, die nicht zwangsläufig mit der Realität zu tun hat. Im Schwitzkasten auf einer Ringermatte sieht die Welt schon ganz anders aus. Von Pferden und vom Ringen handelt am Rande auch Bennett Millers dritte Regie-Arbeit „Foxcatcher“, zumindest insofern beide – Pferde und Ringer – eine soziale Ordnung herstellen, die zunächst etwas spätfeudal anmutet, bevor sich aus der stilsicher kraftlosen Inszenierung und spektakulär antiklimatischen Dramaturgie so etwas wie ein Zeitbefund herausbildet.
Die wahre Geschichte der Brüder Mark und Dave Schultz, die bei den Olympischen Spielen 1984 Gold im Ringen gewannen, und dem exzentrischen Milliardär und Waffennarren John Du Pont ist so unglaublich, dass man sich wundern muss, warum Darren Aronofsky vor einigen Jahren nicht sie verfilmt hat, statt ein sentimentales Rührstück wie „The Wrestler“ zu drehen.
„Foxcatcher“ eröffnet mit echten oder fingierten Archivaufnahmen (sicher lässt sich das nicht sagen, da Bennett und seine Drehbuchautoren E. Max Frye und Dan Futterman Tatsachen und Spekulationen zu luftdichter Fiktion verweben) vom titelgebenden Landsitz der Familie Du Pont, einer amerikanischen Wirtschaftsdynastie, die im frühen 19. Jahrhundert auf der Produktion von Schwarzpulver ein kleines Imperium errichtete.
Die Schwarz-Weiß-Bilder, die dem Film als kurzer Epilog vorangestellt sind, zeigen die bessere Gesellschaft bei den Vorbereitungen zur Fuchsjagd. Im amerikanischen Western war der Blick aus erhöhter Position noch kein Privileg von Viehbaronen und Großgrundbesitzern. In den beiläufigen Eröffnungsbildern klingt hingegen schon Oscar Wildes Bonmot über den englischen Landadel an: „Eine Gruppe Gentlemen, die hinter einem Fuchs galoppieren: das Unaussprechliche in rasanter Verfolgung des Unappetitlichen.“
„Foxcatcher“. Regie: Bennett Miller. Mit Steve Carell, Channing Tatum u. a. USA 2014, 129 Min.
Verachtung für das Hobby ihres Sohnes
Das Unaussprechliche tritt in „Foxcatcher“ als Familienmatriarchin (eine eisblumenhafte Vanessa Redgrave) in Erscheinung, die mit minimalstem mimischen Aufwand eine Aura von unumstößlicher kultureller und sittlicher Überlegenheit verkörpert. Das Hobby ihres intellektuell leicht derangierten Sohns straft sie mit Verachtung. Die Trainingshalle, in der John (Steve Carell, unter seinen Prothesen kaum wiederzuerkennen) das amerikanische Ringerteam auf die Olympischen Spiele in Seoul vorbereitet, befindet sich in größtmöglicher räumlicher Distanz zu den Stallungen, in denen ihre Vollblüter untergebracht sind.
Auch das Verhältnis der Schultz-Brüder ist komplexbelastet, aber es rührt tiefer als die Segnungen materieller Prägung. Mark (Channing Tatum) fühlt sich seinem älteren Bruder (Mark Ruffalo) unterlegen. Er konnte seinen sportlichen Erfolg nicht in ein besseres Leben ummünzen. Nach dem Training schlingt er in seinem tristen Fertighaus Tütensuppen runter, während Dave Zeit mit seiner Familie verbringt.
Für das komplizierte Verhältnis findet Miller überzeugende emotionale Bilder im Gym: Wenn Dave im Training seinen Bruder aufwärmt, erinnern ihre geschmeidigen Bewegungen an das übermütige Spiel junger Welpen. Doch die Aufmunterungen Daves empfindet Mark als Herabwürdigung, ihr Sparring wird kompetitiv und endet blutig. Tatum und Ruffalo sind faszinierend als ungleiche Brüder, sie verleihen dem Film eine rohe, physische Emotionalität, die dennoch klassische Attribute des Sportdramas vermeidet.
Nah an der Karikatur
Die privaten Spannungen nehmen zu, als Du Pont die Brüder für seine Olympia-Pläne gewinnen will. Mark sieht in dem Angebot seine letzte Chance, Dave beäugt den Kontrollwahn des geierhaften Philanthropen mit wachsendem Misstrauen. Du Pont hält sich Mark wie einen Ziehsohn, um an Dave heranzukommen. Carell spielt ihn nah an der Karikatur, eigentlich unterscheidet Du Pont wenig von seinen Komödiencharakteren, die immer am Rande des Realitätsverlusts agieren.
Du Pont ist das bisherige Glanzstück in Carells Figurengalerie: ein ungeliebtes Muttersöhnchen, so tief in der Kultur des „old money“ verhaftet, dass ihm die Vorstellung, jeder Mensch habe seinen Preis, zur zweiten Persönlichkeit geworden ist. Daves Zurückweisung registriert er mit ausdruckslosem Schweigen, das Bennett bis an die Schmerzgrenze auskostet. Die amerikanische Flagge ist diskret im Hintergrund postiert.
Bennett widersteht jedoch der Versuchung, „Foxcatcher“ als große gesellschaftliche Parabel anzulegen. Im Gegenteil entzieht seine distanzierte Inszenierung einer solchen Lesart jegliche Grundlage. In seinen Bildern und der schleppenden Kommunikation seiner Protagonisten überwiegt ein tauber Schmerz, wie eine Depression, die irgendwann in ein visuelles Delirium umschlägt.
In der schönsten Szene treibt ein verirrter Du Pont im diesigen Morgenlicht die teuren Pferde der Mutter auf die Koppel und bleibt dann verloren im Nebel stehen. Auch „Foxcatcher“ steht auf eine dermaßen souveräne Weise neben sich, dass der symbolische Akt der Befreiung keine Katharsis mehr verspricht. Der Patient ist nicht therapierbar.
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