: „Die Technik der reflexiven Analyse“
TOCOTRONIC Nächste Woche erscheint das neue Album der Hamburger Diskursband. Ein Gespräch mit Sänger Dirk von Lowtzow und Schlagzeuger Arne Zank
■ Die Band wurde 1993 als Trio von Dirk von Lowtzow (Gesang, Gitarre), Arne Zank (Schlagzeug) und Jan Müller (Bass) gegründet, zur „Hamburger Schule“ gezählt und 2004 um den US-Gitarristen Rick McPhail ergänzt. Der Name ist einem Gameboy-Vorläufer entlehnt, der einheitliche Look der Musiker mit Trainingsjacken und Cordhosen gilt als ebenso stilprägend wie manche Songtitel („Aber hier leben, nein danke“, „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“). ■ Das Album „Schall und Wahn“ ist das neunte, erscheint Ende Januar und schließt Tocotronics „Berlin-Trilogie“ ab. Eine Rezension folgt.
INTERVIEW ARNO FRANK
taz: Es gibt kaum ein Tocotronic-Album, das von den Fans wie vom Feuilleton nicht immer auch als Steinbruch für vermeintlich zeitgemäße Slogans gehört wurde. Diesmal dürfte es die Forderung sein, „keine Meisterwerke mehr“ zu produzieren. Nervt das eigentlich? Ehrt es?
Dirk von Lowtzow: Dass sich die Leute zu den Texten ihre Gedanken machen, und sei’s im Übermaß, das ehrt einen natürlich schon. Was nervt, ist, dass oft eingefordert wird, wir hätten das Gesungene dann auch persönlich zu leisten. Das wird ja regelrecht abgefragt. Und das hinterlässt dann ein beklemmendes Gefühl, wenn man ständig genötigt wird, die eigene Kunst zu zerreden.
Wer nötigt?
Von Lowtzow: Das geschieht vor allem in Interviews. So ein Interview ist immer auch ein neurotisierender Prozess. Hinterher kann man kaum mehr in den Spiegel gucken, weil man sich fragt: „Verdammt, was habe ich denn da wieder gesagt?“ Das Unangenehme bei jeder gedanklichen Diagnostik ist immer, dass man damit auch Leute abschreckt und alternative Rezeptionsweisen mit allzu schlauem Gequatsche ausschließt. Leute, die unsere Musik auf eine andere, eben nicht so analytische Art hören – und dann davon ausgehen, dass ihnen da wohl irgendein theoretischer Überbau entgangen ist.
Arne Zank: Das ist nicht der Fall und auch nicht unser Anspruch, dass da jemand Querverweise heraushören oder eine bestimmte Haltung „richtig verstehen“ muss.
Von Lowtzow: Aber was willst du machen? Gar nichts reden und den Journalisten auflaufen lassen? Auch eine Technik. Oder du antwortest nicht auf die eigentliche Frage, dann bist du dein eigener Politiker oder Bundestrainer. Und wenn ich nur Witze über mich selber reiße, dann bekommt das so einen albernen Drall. Schlimm, wirklich schlimm.
Aber das ist es doch, worum es beim sogenannten „Diskurs-Rock“ im Kern geht, die inhaltliche Fracht.
Von Lowtzow: Ach, das „Verstehen“ wird sowieso überbewertet. Wird Musik „verstanden“? Nein, die treffsicherste Art, da ranzugehen, ist doch die Frage: Bringt das in mir etwas zum Schwingen? Gibt es eine Resonanz? Will ich dazu tanzen? Ich will sogar noch weiter gehen und sagen: Allen künstlerischen Arbeiten, die sich nicht auf Anhieb selbst erklären, wohnt ein ganz besonderer Zauber inne. Filme von Robert Bresson beispielsweise. Verstehe ich nicht, finde ich aber wundervoll. Das ist ja überhaupt unser steter Kampf: gegen Authentizität und Originalität. Alles kommt irgendwo her, so wie unser Plattentitel eine Einverleibung von William Faulkners „The Sound And The Fury“ ist, der’s wiederum von Shakespeare hat, und der hat es vermutlich auch nicht einmal selbst geschrieben.
Wie wichtig ist denn inzwischen die Virtuosität geworden?
Zank: Ich glaube, der Dilettantismus unserer frühen Jahre war auf seine Art auch virtuos, auch wenn das jetzt seltsam klingt.
Von Lowtzow: Wenn wir schlecht waren, waren wir wenigstens alle schlecht. Virtuosen hast du beispielsweise bei einer Band wie Slayer, wo das dann auch extrem präsentiert wird und manchmal zu aberwitzigen Ergebnissen führt. Uns als Band ging es eher immer darum, einen einheitlichen, flächigen Mahlstrom aus Klang hinzubekommen, bei gleichzeitig einfachen Strukturen. Die finde ich als Songwriter immer spannender als die bewusst komplizierten oder komplexen Sachen. Und es unterscheidet den Rock ja gerade von anderen musikalischen Ausdrucksformen.
Ist dieses stilistische Voranschreiten nicht auch in gewisser Weise progressiv?
Von Lowtzow: Neulich meinte ein Journalist, wir würden „Rockmusik mit avantgardistischem Einschlag“ machen. Wir haben gelacht, weil das so muffig klang. Aber eigentlich trifft’s das schon ganz gut. Aber progressiv? Dazu greifen wir doch zu sehr auf vorhandenes Material zurück. Ich bin mir gar nicht sicher, ob man heute überhaupt noch progressive Musik im eigentlichen Sinne machen kann.
Zank: Wir haben auch zu große Freude an Wiederholungen, am Kreisen um Themen, am Strahlenförmigen. Wir erfinden halt das Rad nicht neu. Als wir angefangen haben, war der Grunge gerade sprichwörtlich gestorben und endgültig kommerzialisiert, und wir dachten: „Eigentlich kommen wir zu spät.“ Wir sind früh vergreist, sozusagen.
Von Lowtzow: So haben wir ja auch schon Punk oder Hardcore kennengelernt, als schöne Leichen. Vielleicht rührt ja daher unsere Obsession für Meta-Ebenen oder parodistische Brechungen. Da kommt die Macke her, glaube ich.
Fühlt ihr euch denn gereift?
Von Lowtzow: „Gereift“, das klingt so nach Schweizer Käse.
Zank: Wir sind alt geboren. Ein Zeichen für Reife, ein fast schon bürgerliches Element sind die Streicher, arrangiert von Thomas Meadowcroft.
Zank: Meadowcroft kommt zwar aus der Neuen Musik, achtet aber sehr auf den Sound, auf das Geräuschhafte, und benutzt Instrumente gerne mal ganz anders als für das, wofür sie gebaut sind. Insofern waren wir überrascht, wie gut seine Arrangements zu so was wie Feedback oder Verzerrung passten.
Von Lowtzow: Es ist Neue Musik, klar, aber es ist auch erstaunlich, wie deren Techniken schon immer denen des Rock glichen. Wie dieser Franzose, der die Rufe von Vögeln umgesetzt hat …
Olivier Messiaen?
Von Lowtzow: Genau! Ja! Wenn man sich damit beschäftigt, wird man schnell fündig. Gerade bei dem, was in den späten Sechzigerjahren geschrieben wurde, gibt es viele Analogien zu psychedelischer Rockmusik. Vor allem von Komponisten wie Messiaen oder Ligeti haben ja auch Stücke wie „Requiem“ oder „Lux Aeterna“ ihren Weg in die Popmusik gefunden. Oder Minimal Music und Velvet Underground, das sind ja nun nicht alles unsere Erfindungen.
Für elektronische Klänge ist Tocotronic nicht der Ort?
Zank: Was mich an elektronischer Musik am meisten interessiert, das ist die Struktur und die Frage: Wie lassen sich bestimmte Ästhetiken oder Strukturen, die man bei elektronischer Musik hat, in ein Rock-Quartett übersetzen? Das finde ich grundsätzlich spannender als so’n Crossover.
Von Lowtzow: Es gibt da zum Beispiel ein Stück von Neil Young, das heißt „I’m The Ocean“ …… auf „Mirrorball“.
Von Lowtzow: … genau, und das klingt so trackhaft, so repetetiv, fast wie ein gespieltes Techno-Stück. Das finde ich interessanter, als wenn eine Rockband jetzt mit Elektronik experimentiert oder da irgendwas zusammenführen will, was eigentlich nicht zusammengehört.
Am Anfang von „Schall und Wahn“ hört man kurz eine Stimme in den Vocoder deklamieren. Was ist das?
Von Lowtzow: Das bin ich und sage: „Contra Tocotronic“.
Huch! Warum „contra“?
Von Lowtzow: Wir finden es nett, gegen das eigene Händchen zu arbeiten, gegen die eigene Routine und die Abgeschmacktheiten.
Dieses eingebaute Dementi in eurer Musik, das ist ja auch eine Haltung, vielleicht eine Verweigerungshaltung. Ist das links?
Von Lowtzow: Als Gruppe stehen wir links. Ich glaube, das kann man so sagen.
Und was bedeutet das konkret, wenn eine Gruppe links steht?
Von Lowtzow: Tja, das fragen wir uns auch. Was wäre heutzutage links? Und wie kann man das in die Musik oder die Texte einfließen lassen? Wäre es „das politische Lied“? Oder sollte man seine eigenen Produktionsverhältnisse so gestalten, dass alle Beteiligten in einem demokratischen Verhältnis zueinander stehen? Das ist sehr schwer zu beantworten, und deshalb beantworten wir das ganz einfach: Als Gruppe stehen wir links. Da kommen wir her, in diese Falle sind wir getappt, da kommen wir nicht mehr raus.
Trotzdem: Was heißt für einen Musiker „links“, wenn doch Musik selbst eine Ware ist?
Von Lowtzow: Das kann man nicht ignorieren, klar. Es ist eine Ware, eine, die überdies nicht zu knapp mit ihrem Fetischcharakter hausieren geht. Man ist ja kein umherschweifender Produzent mehr, man steht immer in Zusammenhängen. Das ist teilweise auch desillusionierend. Aber dessen muss man sich bewusst sein, dass man etwas produziert, was in einen Warenkreislauf eingespeist wird. Ob das bei einem Großkonzern passiert oder ob ich mein eigener Herr bin, das spielt dabei eigentlich keine Rolle mehr.
Zank: Daran sieht man übrigens auch, wie problematisch dieses Indie-Denken ist und schon immer war: Inzwischen haben sich diese Gegensätze längst aufgelöst.
Umso mehr muss sich der Künstler fragen und fragen lassen, wie er damit umgehen will.
Von Lowtzow: Ich glaube, das Wichtigste ist die Technik der reflexiven Analyse. Also dass man sich selber, die Zustände, die Produktionsverhältnisse, in denen man sich befindet, bedenkt und auch transparent macht.
Wie in „Keine Meisterwerke mehr“? Dort heißt es: „Was wir niemals zu Ende bringen, kann kein Moloch je verschlingen, kann kein Hummer in die Zange nehmen, kein Wind in alle Welt vertreiben“.
Von Lowtzow: Ja. Ich denke, das ist es, was Musik im allerbesten Falle auch zu politischer Musik macht – wenn sie also ihre Verwertungszusammenhänge und Zwänge thematisiert. Das wäre auf lange Sicht politischer als jede Parole, der sich im Grunde ja jeder bedienen kann. Parolen oder Slogans können rasch zum Marketingkonzept gerinnen, mit dem man sich den Anstrich einer rebellenhaften Haltung geben will. Aber die Diagnostik der Verhältnisse in die Kunst einzuschreiben, das ist schon die halbe Miete.
■ Tocotronic: „Schall und Wahn“. Das neue Album ist ab 22. Januar im Handel. Die Singleauskopplung „Macht es nicht selbst“ bereits seit 8. Januar. Am 22. 1. spielt Tocotronic im Uebel&Gefährlich in Hamburg. Die Tour folgt im März
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