: Härtefall Schünemann
SPD und Grüne erregen sich wegen einer Abschiebung über Niedersachsens Innenminister
16 Jahre lebten sie in Hannover, drei der fünf Kinder der pakistanischen Familie A. sind in Deutschland geboren. Bislang war auf die Abschiebung von langjährig geduldeten Familien in Niedersachsen verzichtet worden, wenn noch eine Härtefallprüfung vor dem Petitionsausschuss läuft. Mit dieser Regel ist nun zum ersten Mal gebrochen worden. Das meinen Grüne und SPD. Am vergangenen Montag wurden die Flüchtlinge trotz laufenden Verfahrens abgeschoben. „Von einer Missachtung der Arbeit des Parlaments“, sprach die SPD. Die Grünen tobten, Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mache das „Härtefallverfahren zur Farce“, er wolle offenbar „Fakten schaffen“.
„Alle Fraktionen haben vereinbart, dass der Petitionsausschuss des Landtages die Aufgaben einer Härtefallkommission übernimmt“, sagte die SPD-Sprecherin im Ausschuss, Heidi Merk. „Wenn die Ausländerbehörden Abschiebungen vornehmen, bevor das Votum des Petitionsausschusses vorliegt, wird der Kompromiss ad absurdum geführt.“ Schünemann handle schlicht „dreist“.
Der Innenminister sieht das anders. Selbst das Bundesverwaltungsgericht habe den Fall abschlägig entschieden: Bei der Rückkehr in das Heimatland drohe der Familie keine politische Verfolgung. „Die Familie A. hat deshalb bereits im vergangenen Sommer abgeschoben werden sollen“, erklärt Schünemanns Sprecher Klaus Engemann. Damals sei sie jedoch plötzlich abgetaucht. Die Petition habe zudem keine aufschiebende Wirkung für das Verfahren mehr haben können, weil sie viel zu spät eingereicht worden sei. Und selbst wenn sich der Petitionsausschuss mit der Familie befasst hätte, wäre eine Entscheidung nicht absehbar gewesen.
Für den grünen Fraktionschef Stefan Wenzel ist es dennoch ein „Affront“, das Härtefallgremium werde zu einer „Alibiveranstaltung, wenn die Ausländerbehörden in dieser Weise durchzocken“. Seine Fraktionskollegin Filiz Polat kritisierte, dass CDU und FDP gestern im Petitionsausschuss ihren Antrag ablehnten, dem Beispiel anderer Bundesländer zu folgen. Baden-Württemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen hielten ihre Ausländerbehörden explizit an, von Abschiebungen abzusehen, wenn das Verfahren laufe.
Vor allem die FDP hat Polat auf dem Kieker. Die sei theoretisch für Bleiberecht und menschlicheres Vorgehen bei Abschiebungen. In der Praxis habe sich der gelbe Koalitionspartner aber „weder mit der Blockadehaltung von Minister Schünemann bei der Innenministerkonferenz auseinander gesetzt noch im Interesse der Wahrung der Rechte des Parlaments agiert“. ksc
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