„English only“ an deutschen Hochschulen: Wissenschaft? Science!
Deutsche Unis bieten insgesamt tausend englischsprachige Studiengänge an. In Italien wird eine solche Praxis bald vom Verfassungsgericht überprüft.
BERLIN taz | Tamensi movetur! (Und sie bewegt sich doch!): Galileo Galileis berühmter Ausspruch würde heute keine Wissenschaftsrevolution mehr auslösen, denn kaum jemand würde ihn noch verstehen. Über 90 Prozent der wissenschaftlichen Publikationen weltweit werden auf Englisch verfasst. Die Lingua franca des Mittelalters, Latein, hat längst ausgedient, und auch auf Deutsch erscheinen lediglich noch ein Prozent der Publikationen. Die Wissenschaft spricht also Englisch. Folgerichtig heißt es bei Studiengängen auch in Deutschland immer öfter: „English only“.
Alleine 1.017 rein englischsprachige Studienangebote listet die Hochschulrektorenkonferenz auf ihrer Internetseite auf, knapp 18.000 staatlich anerkannte Studiengänge gibt es insgesamt in Deutschland. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der rein englischsprachigen Angebote stark gestiegen, im Wintersemester 2005/06 gab es lediglich 391 Studiengänge in englischer Sprache, das zeigen Zahlen der Hochschulrektorenkonferenz.
Grund für das jährlich wachsende englischsprachige Angebot ist auch die stetig ansteigende Zahl ausländischer Studierender in Deutschland. Allein im Jahr 2014 schrieben sich laut Statistischem Bundesamt 107.000 StudienanfängerInnen mit ausländischem Pass an einer deutschen Universität ein. Deutschland belegt nach den USA und Großbritannien Platz drei unter den Gastländern und ist das wichtigste nicht englischsprachige Studienland.
In Italien wird sich bald das oberste Verfassungsgericht mit der Thematik beschäftigen. Kritiker der Praxis hoffen, dass dies auch Auswirkungen für Deutschland hat. Hintergrund ist ein Beschluss der Technischen Universität Mailand, die im Jahr 2012 sämtliche weiterführenden Studiengänge und Doktorandenprogramme nur noch noch in englischer Sprache zuließ. Etwa 100 DozentInnen und Studierende hatten dagegen geklagt.
Auch die TU München plant, ab 2020 fast alle Masterprogramme auf Englisch umzustellen. Dadurch könne man zum einen internationale Studierende für ein Studium in München gewinnen und zum anderen deutsche Studierende auf die Realität des Berufs vorbereiten, sagt Gerhard Müller, Vizepräsident Studium und Lehre der TU. Der Schwerpunkt der Technischen Universität München liegt im Bereich Natur- und Ingenieurwissenschaften, Disziplinen also, in denen die Internationalisierung sowohl in Wissenschaft als auch im Beruf sehr weit vorangeschritten ist.
Eine Klage steht noch aus
Sorge vor einer Klage wie in Italien hat er nicht: „Wir stehen in Kontakt mit dem Ministerium und haben vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftebedarfs gute Argumente.“ Außerdem habe er die Erfahrung gemacht, dass die deutschen Studierenden positiv auf das schon jetzt sehr große englischsprachige Angebot reagieren.Der „Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache e. V.“ (Adawis) sieht das Urteil aus Italien als Bestätigung seiner Vermutung, dass auch die Entwicklung in Deutschland möglicherweise nicht verfassungsgemäß sein könnte. Selbst Klage einzureichen erwägt er mangels Verbandsklagerecht zwar nicht. Die Klage einer betroffenen Person oder Personengruppe gegen die Verpflichtungen zur englischen Sprache in der Lehre würde der Arbeitskreis aber unterstützen, so Hermann Dieter, stellvertretender Vorsitzender des Adawis.
Der Deutsche Hochschulverband (DHV) sieht das nicht ganz so kritisch, betont aber auch die Bedeutung der deutschen Sprache in der Wissenschaft. „Der Trend in der Wissenschaft geht ganz klar hin zum Englischen. Dagegen ist auch generell nichts zu sagen“, so Sprecher Matthias Jaroch vom DHV.
Akademische Lehre sollte an deutschen Universitäten jedoch grundsätzlich in deutscher Sprache erfolgen und nur in besonders international ausgerichteten Studiengängen auf Englisch wechseln. Einen staatlich verordneten Zwang zur Verwendung des Deutschen oder Englischen lehnt der Hochschulverband jedoch ab. Sinnvoller sei die Stärkung des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Dies sei der beste Dienst, der dem Deutschen als Wissenschaftssprache erwiesen werden könne.
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