: Die Gentech-Wende in Deutschland
Obwohl weder die neuen Haftungsfragen noch Anbau-Richtlinien für gentechnisch veränderte Pflanzen geklärt sind, hat das Bundessortenamt erstmals Gen-Mais zugelassen. Damit setzt der neue Agrarminister um, was die Gen-Industrie fordert
VON WOLFGANG LÖHR
Das Bundessortenamt in Hannover hat gestern nach jahrelanger Blockade erstmals drei genmanipulierte Maissorten für die Vermarktung freigegeben. Ein Hinweis auf neue Politik: Das Sortenamt ist direkt Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) unterstellt.
Die von den beiden Saatgutkonzernen Monsanto und Pioneer vertriebenen Maislinien MON 810 werden einzeln zwar schon seit letztem Jahr in Deutschland angebaut. Bisher fehlte aber noch die Sortenzulassung – also die Genehmigung, den Mais auch zu verkaufen. Das von der grünen Politikerin Renate Künast geleitete Bundesverbraucherministerium hatte die Sortenzulassung der MON-810-Linien wiederholt verweigert.
Vor kurzem hatten die Saatgutkonzerne noch versucht, die Zulassung durch das Bundessortenamt gerichtlich durchzusetzen – jedoch ohne Erfolg. Auf derart drastische Maßnahmen muss die Gentech-Industrie künftig wohl nicht mehr zurückgreifen: Schon während der Koalitionsverhandlungen wurde deutlich, dass die neue Regierung künftig bei der Gentechnologie industriefreundlicher wird.
Das mit einem Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) ausgestattete Saatgut ist resistent gegen das Fraßinsekt Maiszünsler. Durch das zusätzliche Bt-Gen produzieren die Pflanzen ein für die Maiszünsler-Raupen tödliches Eiweiß. Kritiker befürchten, dass durch die kontinuierliche Produktion des Bt-Toxins beim Maiszünsler eine Resistenz entstehen könnte. Das hätte für Auswirkungen für alle Landwirte: Ökobauern nutzen etwa natürliche Pflanzenschutzmittel, die Bt-Toxine enthalten. Bei einer Resistenz wären auch sie unbrauchbar.
Die Gentech-Industrie feierte gestern die Zulassung: „Nun steht unsere Technologie endlich allen Landwirten zur Verfügung und erhöht deren Chancen im Wettbewerb“, verkündete die Geschäftsführerin von Monsanto Deutschland, Ursula Lüttmer-Quazane. Für den so genannten Erprobungsanbau stand den Landwirten bisher nur eine begrenzte Menge von Gentech-Saatgut zur Verfügung. Das Bundessortenamt hatte diesen Erprobungsanbau auf 2.000 Hektar genehmigt – was etwa 3.000 Fußballfeldern entspricht. Die Nachfrage war jedoch weitaus geringer: Lediglich auf rund 300 Hektar wurde dieses Jahr der Gen-Mais angebaut.
Ob der Mais MON 810 – unter anderem in den USA, Argentinien und in geringen Mengen in Spanien und Frankreich angebaut – in Deutschland ein Umsatzrenner wird, ist fraglich. Denn noch ist das unter Renate Künast verabschiedete Gentechnikgesetz in Kraft. Dies verlangt strenge Haftungsregelungen, nach denen bei Gentech-Verunreinigungen – beispielsweise durch Pollenflug – alle Gen-Bauern in der Nachbarschaft haften müssen. Sowohl der Deutsche Bauernverband als auch die Gentech-Industrie drängen seit langem darauf, dass dieses „Gentechnikverhinderungs-Gesetz“ mit der „verschuldungsunabhängigen Haftung“ wieder abgeschafft wird.
Die schwarz-rote Regierung hat zwar versprochen dies auch möglichst schnell umzusetzen. Allerdings hat auch sie bislang kein schlüssiges Konzept vorlegen können, wie die Haftung stattdessen geregelt werden kann. Ihr Vorschlag: Ein Gen-Landwirt muss nur haften, wenn nachgewiesen wird, dass er die Anbauvorschriften nicht eingehalten hat. Anbauvorschriften allerdings gibt es bislang noch nicht. Im Gespräch ist außerdem ein Haftungsfonds, der in Anspruch genommen werden soll, wenn kein Schuldiger für die Verunreinigungen gefunden werden kann. Der Haken: Saatgut-Industrie, Gentech-Landwirte oder Vater Staat – bislang weigern sich alle, in den Haftungsfonds einzuzahlen.
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