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Die WahrheitGorleben für alle

Die Zukunft strahlt jetzt schon: Endlich wird der weltweite Atomabfall gerecht aufgeteilt: 50 Gramm Atommüll pro Kopf, ab sofort.

Jedem Weltbürger sein Fässchen Atomares – das ist die Lösung. Bild: Imago / Westend61

Es ist eine Menschheitsaufgabe monströser Größe, an der auch Titanen wie Ursula von der Leyen, Wladimir Putin oder Oliver Kahn scheitern: Mittlerweile gibt es 350.000 Tonnen radioaktiven Müll auf der Erde – und niemand weiß, wohin damit. Vernichtendes Ultragift, das noch in 200.000 Jahren emsig strahlen wird. 200.000 Jahre – das ist hundertmal so lang hin wie ein gewisser Jesus Christus schon aufgefahren ist in sein himmlisches Zwischenlager. Und jedes Jahr kommen 10.000 Tonnen Strahlenmüll dazu.

Seit Jahrzehnten wird ein sicherer Aufbewahrungsort auf diesem Planeten gesucht. Erfolglos. Ein Weltendlager in der Wüste Gobi, im angeblich ewigen Eis von Arktis oder Antarktis, im schon verseuchten Kentucky, in Granitstollen der Schweiz? Alles geprüft – nichts ergibt Sinn. Jede Endlageridee erweist sich als so unsicher wie Gorleben und andere Bröckellöcher schon immer waren. Gerade stellten Wissenschaftler fest, dass selbst ein rein deutsches Endlagerchen wohl erst in 150 Jahren machbar ist, Kosten: 70 Milliarden aufwärts.

Auch der extraterrestrische Transport der Brennstäbe & Co auf den Mars ist noch auf absehbare Zeit unwirtschaftlich. Zudem weiß niemand, ob grüne Marsmännchen oder gelbe Marsweibchen darunter leiden würden. Oder ob sie aus den Aberquintilliarden leckeren Bequerel titanische Kräfte tanken, um dann die Erde anderweitig zu bedrohen. „Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück“ – Ältere kennen das sicher noch aus der Werbung.

Nun hat ein US-amerikanisches Forscherteam der Stanford University um Professor William Burnton II. jr. einen neuen, einigermaßen revolutionären Vorschlag gemacht. Die Wissenschaftler empfehlen ein „weltumspannendes integratives Strahlensharing“.

Strahlenmüll wird menschlich

Auf jeden Erdenbewohner, so Burnton, entfallen ziemlich genau 50 Gramm Atommüll. Das, sagt er lässig, breche „die gigantische Tonnenzahl auch für Laien nachvollziehbar herunter“. 50 Gramm! Weniger als ein gutes Steak. Selbst wenn man Kinder und Greise abzieht, bleibt für jeden erwachsenen Müllweltbürger kaum die Menge einer Tafel Schokolade Strahlenschrott.

„Zumutbar“, sagt der engagierte Forscher, „das kann doch jeder mit nach Hause nehmen. So ist jeder Weltbürger in der Lage, einen Teil der humanoiden Verantwortung zu tragen.“

Burntons Teilen-Szenario ist von bestechender Logik und hat umgehend einhellige Zustimmung gefunden, gerade in Deutschland. „Eine ideale Gemeinschaftsaufgabe für die partizipative Gesellschaft“, lässt das Kanzlerinnenamt verlauten, „wir haben ja auch gemeinsam mit Kernenergie geheizt und dank der fleißigen Atomkerne die Lichter nicht ausgehen lassen.“ Bürgerstiftungen bewerben sich schon um lokale Patenschaften. Der Transportmulti Kühne + Nagel verspricht, „als Wiedergutmachung für eine andere Zeit“ die Logistik in Westeuropa unentgeltlich zu übernehmen.

Strahlendes für Flüchtlinge

Die CSU schlägt internationale Brücken: Sie will „als Akt der Willkommenskultur“, so Parteichef Horst Seehofer, „allen Flüchtlingen ihren Anteil beim Betreten der EU, etwa in Lampedusa, überreichen lassen“. Damit sie gleich wüssten, ergänzt ein wortspielhöllenerfahrener Staatssekretär, „warum bei uns nie die Lampen duster waren“.

Technisch, weiß die geballte Kompetenz deutscher Ingenieure (VDI), gebe es keine Probleme: „Die Kühlung kann durch die hauseigenen Sonnenkollektoren erfolgen. So können sehr verschiedene Energiesysteme harmonisch miteinander leben lernen.“ Der Rest lasse sich mit handelsüblicher Aluminiumfolie in den Griff bekommen.

Über die technisch-sozialen Belange hinaus gibt es schon wirtschaftliche Hoffnungen. Der IHK-Bundesverband schlägt „schicke Safety-Boxen aus strahlungsresistentem Edelstahl vor“. Ein Milliardengeschäft lockt. „Ich kann mir sehr formschöne Modelle für das heimische Bücherregal vorstellen und für den Kaminsims“, sagt Hauptgeschäftsführer Fritz Prötting.

Auch besondere Wünsche sollen, je nach Verfügbarkeit, möglich sein. „Wer zum Beispiel unbedingt einem Stück Original-Tschernobyl ein neues Zuhause geben will oder ein paar formschöne Kugeln aus dem Forschungsreaktor Jülich durchs Wohnzimmer kullern lassen will“, verspricht die für Reaktorsicherheit zuständige Bundesministerin Barbara Hendricks (SPD), „der soll solche Spezialstücke auch bekommen dürfen.“ Ein Gebührenmodell („Privat-Atomaufbewahrungssetz – PrAtAuBewGes“) sei in Vorbereitung. Da werde „sich schnell ein veritabler Markt entwickeln“, verkündet die EU, die „die gerechte Verteilung der Müllhäppchen“ europaweit harmonisieren will.

Professor Burnton jedenfalls lässt wissen, er persönlich wolle „mit gutem Beispiel vorangehen“ und ein Päckchen aus dem US-Pannenreaktor Three Mile Island adoptieren. „Ich freue mich schon auf dieses Stück lebendige Technikgeschichte in unserem Hobbykeller.“

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1 Kommentar

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  • 350.000 Tonnen weltweit. Das ist nahezu nix.. Allein in der Sondermülldeponie Herfa Neurode lagern etwa 2,7 Millionen Tonnen Giftmüll, davon 220.000 Tonnen quecksilberhaltige Abfälle, 127.000 Tonnen Cyanid-Abfälle, 690.000 Tonnen mit polychlorierten Dibenzodioxine und Dibenzofurane verseuchter Abfall und 83.000 Tonnen arsenhaltige Abfälle.

     

    Dort landen übrigens auch die Cadmiumverseuchten Reste der Dünnschicht-Solarzellen, sowie die Verbundstoffe abgerissener Windkraftanlagen.

     

    Wer zahlt das denn? Welcher "Bürgerenergieverein" mag sich dies Fässer in den Garten holen?

     

    Es gibt momentan wenigstens 3 Wege, um hochradioaktive Stoffe zu entsorgen.

     

    1) Transmutation: Das europäische MYRRHA-Projekt

     

    2) Moderne schnelle Brüter, wie der russische BN 800, der letztes Jahr ans Netz ging. Der Rosatom CEO sprach von 25 Jahren, in denen Russland Atommüll frei sein wird.

     

    3) Moderne Reaktoren wie die Flüssigsalzreaktoren (zB. der deutsche Entwurf "Dual Fluid Reactor"), die nahezu alles "fressen"

     

    Sollte man sich die irrsinnigen Kosten und den Aufwand für Endlagersuche nicht sparen und lieber erstmal abwarten, welche der Möglichkeiten des Recyclings die beste ist?

    Und vor allem: Aktiv daran beteiligen. Je schneller Ergebnisse vorliegen, desto bessser für alle!