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Schatzsuche in der Sierra Madre

Klapperschlangen, Skorpione und Esel – zu Fuß durch das mexikanische Hochland. Im 17. Jahrhundert schürften die spanischen Besatzer am Grund des Canyons edle Metalle. Wandern auf den historischen Pfaden der Silbersucher

von TINO HEEG

Als ich meinen Rucksack in eine Ecke des schattigen Rastplatzes tragen will, hält mich Esteban zurück. Er deutet wortlos auf den Boden. Etwa zwei Meter vor uns liegt eine Klapperschlange. Sie lebt noch, aber Estebans Söhne haben sie bereits mit einem gezielten Steinschlag außer Gefecht gesetzt. Das berüchtigte Klappern klingt matt, und sie liegt zusammengerollt und fast bewegungslos am Boden. Erst nachdem alle die betäubte Klapperschlange bewundert haben, erbarmt sich Estebans Sohn und schlägt ihr mit der Machete den Kopf ab. Mit einer Mischung aus Abscheu und Neugier betrachten wir anschließend die Giftzähne im Maul des zerschmetterten Kopfes. „Man stirbt nicht sofort, erst nach etwa drei Tagen“, erklärt Walter lakonisch. Ich lache nervös. Dann setzen wir uns – vorsichtig – auf den Boden und essen etwas.

Esteban ist unser local guide. Er lebt in einem Dorf in der Sierra Madre, zwei Stunden von Durango entfernt. Dort heuerten wir Esteban, seine beiden Söhne und drei seiner Esel an. Esteban ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Vielleicht sechzig Jahre alt, groß gewachsen, schlank. Er trägt einen Cowboyhut, den er in den nächsten Tagen nur äußerst selten abnehmen wird. Ein imposanter Schnurrbart lässt nicht erkennen, ob er noch Zähne besitzt.

Doch das herzliche Lachen seiner Frau hat bereits gezeigt, dass Zahnprothesen hier oben ein unbezahlbarer Luxus sind.

Da Esteban nur Spanisch spricht, ist unsere Verständigung sehr eingeschränkt. Doch dafür haben wir Walter, der die ganze Tour für uns organisiert. Er hat einige Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und spricht deshalb fließend Englisch. Beim Loslaufen klärt mich Walter über die beiden größten Gefahren der Sierra Madre auf: Schlangen und Knöchel. Knöchel? „Wenn du dir hier den Knöchel verstauchst oder brichst, dann holt dich kein Helikopter raus“, sagt Walter. „Das ist nicht wie in den Alpen.“

Wir sind auf dem Weg zum gewaltigen Canyon-System des Rio Piaxtla im Herzen der Sierra. Über tausend Meter tief haben sich verschieden Flüsse dort in die Hügel des mexikanischen Hochlandes gegraben. Im 17. Jahrhundert schürften die spanischen Besatzer am Grund des Canyons edle Metalle. Wir wandern auf den historischen Pfaden der Silbersucher. Auf diesem Weg haben sie vor vierhundert Jahren ihre wertvollen Lasten nach Durango transportiert, mit Eseln und Maultieren. Wir sind heute nicht anders unterwegs. Am zweiten Tag erreichen wir die erste Schlucht. Doch die Mittagshitze zwingt uns zu einer längeren Rast an einem schattigen Bachlauf. Hier treffen wir auf die Klapperschlange.

Einige Stunden später beginnt der Höhenweg am Rande des Canyons. So gemächlich unsere Karawane beim Lagern und Packen ist, so schnell sind sie beim Gehen. Wir haben große Mühe, mit den drei Lasttieren und ihren Führern Schritt zu halten. Zumal links von uns ein Schwindel erregender Abgrund gähnt. Ich verfluche meine Kompaktkamera, die das überwältigende Panorama nur unzureichend einfängt. Am frühen Abend erreichen wir das Ende dieses Canyons, und tief unter uns fließen in einem prächtigen Schauspiel drei Seitenarme zusammen.

Am Grund der Schlucht, etwa fünfhundert Meter unter uns, sehen wir ein winziges Haus. „Eine Kirche mit einer Jungfrau“, erklärt Walter. „Dort übernachten wir.“ Auf dem Abstieg verrutschen immer wieder die Lasten auf den Eseln. Die Tiere sind bald ebenso schweißgebadet wie wir. Nur Esteban bleibt völlig unbeeindruckt von den Anstrengungen. Es wird mit jedem Schritt wärmer. Schließlich erreichen wir die Kirche, und jetzt sehen wir auch die Ruinen der Siedlung. Die Grundmauern eines Waschhauses, ein erstaunlich gut erhaltenes Aquädukt, große steinerne Behälter, in denen das Gestein zermahlen wurde, um das Edelmetall zu gewinnen. Nur die Kirche ist noch ganz.

Zum ersten Mal genießen wir es, dass wir uns um nichts kümmern müssen. Abladen, Feuer machen, Zelt aufbauen, kochen – alles besorgen Walter, Esteban und Miguel für uns. In der hereinbrechenden Nacht waschen wir uns im Flusslauf und sind dankbar für diesen Luxus. Der abendliche Ablauf ist einfach: Auf der Glut des großen Feuers wird gekocht, danach verkriechen wir uns in unser Zelt, während es die anderen vorziehen, unter dem Sternenhimmel zu schlafen. Ich frage mich, ob Esteban seinen Hut zum Schlafen abnimmt.

Als ich wach werde, ist es noch dunkel. Esteban und seine Söhne sind längst auf den Beinen. Sie haben das obligatorische Morgenfeuer in Gang gebracht. Die Kaffeekanne wird in die Glut gestellt, wie in der Marlboro-Werbung. Ich setzte mich ans Feuer und sehe zu, wie über mir die Sterne verblassen. Heute wollen wir früher aufbrechen, da wir wieder gut tausend Höhenmeter aus dem Canyon herausklettern müssen. Als wir dann gegen halb neun tatsächlich loswandern wollen, gibt es noch eine Schrecksekunden. Ich setzte meine Schirmmütze auf, doch irgendetwas krabbelt in meinen Haaren. Als ich die Mütze wieder vom Kopf nehme, sehe ich dort einen Skorpion. Auf seinem Rücken sind lauter helle Punkte. Eine Skorpion-Mama mit ihren Kindern! Es gibt einen kleinen Aufruhr. Meine Haare haben mich vor dem schmerzhaften Skorpionstich bewahrt.

Wir starten diesmal vor den Eseln. Auf dem gewundenen und steilen Pfad treffen wir auf drei Reiter. Walter redet lange mit ihnen. Wenn man sich hier trifft, dann hält man ein Schwätzchen. Walter zeigt uns immer wieder Vögel, deren Namen uns nicht viel sagen. Lediglich den Bussard kennen wir aus Europa. Vor dem Hintergrund der majestätischen Schluchten sieht er jedoch mindestens aus wie ein Adler. Außerdem haben wir noch das seltene Vergnügen, eine Korallenschlange zu treffen. „Ihr Biss tötet sofort“, informiert uns Walter. Und: „Keine Angst, die kann im Gegensatz zur Klapperschlange nicht springen.“ Die Klapperschlange kann springen? Gut, dass wir das erst jetzt erfahren.

Wer hier oben lebt, ist Bauer und Viehzüchter. Man bewegt sich auf Maultieren und Eseln fort. Oder auch zu Fuß. Auf zweieinhalbtausend Meter kann es auch in diesen Breiten richtig kalt werden. „Zwei- bis dreimal schneit es im Winter“, berichtet Esteban. Er trägt ein ausgeblichenes Flanellhemd über den Jeanshosen. Für die Nacht oder einen Sturm hat er die Jeansjacke mitgenommen.

Schließlich erreichen wir das Dorf hoch oberhalb des Canyons, Ziel unserer Wanderung. Hier wartet der alte Mercedes-Bus von Walter auf uns. Als wir losfahren, sehen wir Estebans Söhnen hinterher, die die Esel wieder zurückführen. Sie sehen nicht so aus, als ob sie uns beneideten.

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