Die Wahrheit: Der Rohrkrepierer
Untauglich? Aber nur bedingt! Die Zukunft des rostfreien Bundeswehrgewehrs G 36 kann taktisch und strategisch gesichert werden.
Wird in Oberndorf am Neckar dieses Jahr zum ersten Mal in der Stadtgeschichte kein Maibaum aufgestellt? Die Perle zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb ist krisengeschüttelt. Leergefegte Straßen, Totenstille selbst im Balkan-Bierstüble. Das heimische Rüstungsunternehmen Heckler & Koch, ein weltweit führender Hersteller von Handfeuerwaffen, hat die 13.646 Einwohner in eine Existenzkrise gestürzt. Ihre urschwäbische Tüchtigkeit ist in Verruf geraten: am Hindukusch und am Horn von Afrika. Dort, wo man Spiegeleier auf dem Panzerdach brät, hat das rostfreie Bundeswehrsturmgewehr G 36 trotz Kurzhubimpuls, Lichtsammelschnecke und einer Mündungsgeschwindigkeit von 780 Metern je Sekunde versagt.
Das Gewehr hat amtlich festgestellte „Fähigkeitslücken“, so der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wieker. Es schießt einfach nicht richtig tot und hat bei über 23 Grad Außentemperatur erhebliche „Streukreisvergrößerungen im Trefferbild“. Im Klartext: viel Lärm und Pulverdampf statt Loch im Feind. „Selbst heftiges Feuer beeindruckt den Gegner nicht“, schreibt der Spiegel, auch „Treffer führen oft nicht zum Erfolg“. Da lacht der Taliban, wenn der deutsche Soldat schießt und der Schwabe in Oberndorf weint.
Nachdem schon Hubschrauber, Flugzeuge, Panzer und Drohnen Schrott sind, jetzt also auch 178.000 Exemplare des seit 1997 eingesetzten Ordonanzgewehrs von Heckler & Koch, der Brot- und Butterwaffe des deutschen Soldaten. Das Kaltschussbild des G 36 ist voll in Ordnung, aber wehe die Sonne scheint. Hektisch hat Ministerin Uschi von der Leyen eine Untersuchungskommission eingesetzt.
Bei der Ursachenforschung offenbart sich ein multifaktorielles Ursachengeflecht. Mal sind die zu dicken Zinnhäutchen des Geschossmantels schuld, dann ist es der glasfaserverstärkte Kunststoff. Klar ist, dass die vielen verschiedenen Waffen von Heckler & Koch seit 60 Jahren Abermillionen Menschen erfolgreich hingemetzelt und abgeschlachtet haben bei guter Durchschlagskraft auf Hart- wie Weichziele. Die Firma und ihre bienenfleißigen Arbeiter sind also unschuldig.
Aber was ist mit den aus rot-grüner Regierungszeit verbliebenen Pazifisten im Verteidigungsministerium, die ungeniert sabotieren? Auch die Klimakatastrophe zeigt ihre militärischen Implikationen. Der Ausstoß unkontrollierter Treibhausgase aus chinesischen und brandenburgischen Kohlekraftwerken hat zu Erhöhungen der Temperatur geführt, denen das G 36 hilflos ausgeliefert ist. Dazu der feuchtwarme Angstschweiß der SoldatInnen.
Das obsessive, gern als Strafexekution verordnete Gewehrreinigen unter Missbrauch von Scheuerpulver auf Tensidbasis (vulgo: Ata) vergrößert den Übelstand. Außerdem müssen die Waffen künftig besser geprüft werden. Es gibt noch immer kein normiertes Prüfverfahren. Der Dickhäutertest – trifft ein deutscher Infanterist mit 1,5 Promille Restalkohol auf 20 Meter eine indische Elefantenkuh? – ist weder anerkannt noch zertifiziert.
So wird nun, mitten in der schwersten Sturmgewehrkrise nach Notlösungen gesucht. Denn General Wieker hat sich für den weiteren Einsatz des G 36 während einer Übergangsphase ausgesprochen. Und auch der Deutsche Ethikrat ist für die Weiternutzung, zumal die Trefferstreuung aus überhitzten Gewehren zu einer „signifikant reduzierten Zahl von Verletzten und Toten“ führe.
Darüber hinaus liegen nun diese Vorschläge aus dem Ministerium auf dem Tisch: Hitzefrei für Soldaten und Gewehre, Einsätze auf die kühlere Tageszeit konzentrieren, Morgenstund’ hat Gold im Mund. Bei steigender Temperatur langsamer schießen, die Feldwebel sollen Zigarettenpausen anordnen. Und: Raus aus Mali! Konfliktherde in die Kältezonen Richtung Polkappen verschieben, warum nicht mal Eisbärjäger jagen? Und: Kühlaggregate sind nicht nur für Bierflaschen da, Cool-Pads und mobile Kleinfrostgeräte gehören mit in den Gefechtsstand. Auch die Umrüstung des G 36 auf Schrotschuss wäre eine Option sowie als Ergänzungswaffen Schweizer Präzisionsarmbrüste, Morgensterne, Steinschleudern.
Natürlich arbeitet auch Heckler & Koch fieberhaft an Modellmodifikationen, zumal das rostfreie Sturmgewehr in mehr als 20 Ländern im Einsatz ist – von der philippinischen Präsidentschaftswache bis zur brasilianischen Bundespolizei. Dort wird inzwischen versucht, jeglichen Schusswechsel zu meiden und Razzien in die Wintermonate zu verschieben.
Unterdessen kommen die Tüftler aus Oberndorf mit einem neuen Zielfernrohr um die Ecke. Schöne Idee: Das gemeinsam mit dem Spielekonsolenhersteller Nintendo entwickelte Add-on halluziniert dem Soldaten ein perfektes Trefferbild aufs Display – selbst bei weit abgetragenen Fehlschüssen. Das Testpersonal am Neckar-Schießstand war hellauf begeistert. „Die Moral der Truppe könnte profitieren“, sagte Ministerin von der Leyen gestern beim Besuch in der schwäbischen Provinz. Ganz hinten stand einer, der knurrte nur: „Verkauft den Bärentöter an die Taliban!“
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