neu im kino: Diese Woche frisch
Oliver Twist
F/GB/Tschechien 2005, Regie: Roman Polanski. 128 Min.
Dem Waisenjungen Oliver Twist hat das Leben zwar übel mitgespielt, dies ist ihm aber noch nicht anzusehen. Er geht mit großen Augen dessen durch die Welt, der etwas erwartet. Roman Polanskis aktuelle Adaption von Charles Dickens’ Klassiker ist ein völlig zeitloser Film, der in der Tschechoslowakei der Sechzigerjahre genauso hätte entstehen können wie im England der Dreißiger. So willfährig tragen die Gesichter ihre Masken, so eindeutig erfüllen sie ihre moralische Mission, dass „Oliver Twist“ als mustergültige Illustration des Romans erscheinen muss. Wer vom Kino mehr erwartet, muss zum Buch zurück.
U-Carmen
Südafrika 2005, Regie: Mark Dornford-May. 122 Min.
Wenn man diese südafrikanische „Carmen“ sieht und hört, kommt man begeistert ins Grübeln – über das, was bei Übersetzungen, Adaptionen und Kulturtransfer eben nicht verloren geht, sondern gewonnen werden kann. Der Film fegt mit Wucht über die Leinwand und entstaubt die Liebesgeschichte zwischen dem Zigarettenmädchen und dem Brigadier von jeder folkloristischen Süße. Ihre Konfrontation mit der Staatsgewalt, die sich bis zum blutigen Ende durch den ganzen Film zieht, lässt sich als ein politischer Kommentar auf reale Machtverhältnisse verstehen. Für den diesjährigen Berlinale-Gewinner wurde der gesamte Text der Oper in ein zeitgenössisches Xhosa übersetzt, was der Musik schon allein durch die kehligen Klicklaute etwas angenehm Unvertrautes verleiht. So beweist „Carmen“, dass doch selbst ungenießbar gewordene „Schinken“ des europäischen Kulturerbes wiederbelebt werden können.
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