: Ganz verliebt in Helmut Debus
Alles war so wahnsinnig konspirativ – aber auch sehr heimelig
Am Freitag gab es den Rundruf: Morgen geht’s los. Nicht nach Brokdorf, sondern ins Wendland (www.damals-im-wendland.de). Nach Gorleben. Ausweislich der Erinnerungsfotobücher war es der 22. Februar 1977, überall in der Szene erste Zeichen dessen, was als Deutscher Herbst bekannt wurde.
Aber man genoss diesen Rummel, ehrlich gesagt, sehr. Diese Akte der Konspiration – bloß keine Namen am Telefon!, am besten ein Tuch zur Demo mitbringen! –, die so streng, so sehr Wichtigkeit atmeten und durchsetzungswillige Zeitgenossenschaft beanspruchten. Dabei ahnte man ja gar nicht, dass das mit Gorleben mal echt eine Rolle spielen würde, ein Name als Kristallisationspunkt der neuen Ökobewegung. Öko? Hatte man doch keine Ahnung.
Die Fahrt nach Gorleben, wenn das Gedächtnis keinen Streich spielt, fand im Sonnenschein statt, es wurde noch nicht geschottert und geprügelt – aber an den Straßen zur vermuteten Wiederaufarbeitungsanlage standen Polizisten. Keinen Schimmer von alternativer Energie, aber alles im Milieu verschwamm: Anti-AKW, Frauen-Hälfte-des-Himmels-Aspirationen, die Auftritte der ersten Schwulen in der linksalternativen Bewegung, Kampf gegen rechts, Faschisierung von Staat und Gesellschaft – und in Hamburg mobilisierte man plötzlich für Gorleben, das lange nicht so attraktiv war wie Brokdorf, das des Bauzauns wegen mehr hermachte.
Man war dagegen, man war guter Dinge, man trug natürlich Palästinensertücher, wobei die Distinktesten unter allen solche mit echten Knotenbommeln trugen. Gorleben war eine schöne Demo.
Helmut Debus, eigentlich der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) nah, sang liedermacherisch auf einer ganz kurzfristig gebretterten Bühne, ich himmelte den plattdeutschen Musiker an und wusste im bewussten Sinne vom erotischen, vielleicht gar sexuellen Appeal des Politischen als Bewegungsraum. Abends ging es zurück in die Metropole – und ich dachte: Wie schön die Landschaft war im späten, sonnigen Winter: Sollte man da nicht besser leben? Träume von Ökodörfern? Die ersten sollten schon bald dorthin ziehen, in die deutsche Toskana unserer Kreise. JAN FEDDERSEN
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