: Essen im Pott
KULTURHAUPTSTADT Curry mit Pommes war gestern, kommt aber edel wieder. Kulinarisch geht zwischen Dortmund und Duisburg alles durcheinander
■ Currywurst: Für die Soße 2,5 kg Tomaten, 8 Knoblauchzehen, 750 g Schalotten geschält, 100 g Ingwer, 3 Selleriestangen, 4 bis 5 Chilischoten, 100 g Currypulver, 300 ml Weißwein, zerkleinern und ca. 45 Minuten köcheln. Dazu 1 Säckchen mit: 2 TL Senfkörner, 2 TL grob gemahlene Muskatblüte, 3 EL Korianderkörner, 3 Gewürznelken. Danach die Soße durch ein Passiergerät pressen und nochmals eine Stunde köcheln lassen, bis sie um die Hälfte reduziert ist. Nun pro Liter Soße 0,2 l Apfelessig, 60 g brauner Zucker, 2 TL Salz und 1 EL Paprikapulver hinzugeben und noch eine Stunde einkochen lassen. Beste Bratwürste braten und professionell mit der Schere zerteilen – mindestens drei Stücke müssen zusammenhängen! Mit Soße servieren.
■ Pfefferpotthast: 1 kg Rinderkamm, 500 g Zwiebeln, 100 g Schmalz, 2 Lorbeerblätter, 2 Nelken, 2 EL Kapern, 1 Liter Fleischbrühe, geriebene Zitronenschale, etwas Bier, Paniermehl, grob gemahlener Pfeffer, 1 TL Salz. Das Fett in einem Topf erhitzen. Fleisch in Würfel schneiden, kurz anbraten. Zwiebeln dazugeben, glasieren und mit Brühe ablöschen, dann die Gewürze dazu. Mindestens eineinhalb Stunden bei geringer Hitze schmoren, bis das Fleisch weich ist. Soße mit Paniermehl binden und mit Zitronenschale, Bier und Kapern abschmecken. Klassisch wird der Potthast mit Salzkartoffeln und sauren Gurken serviert.
VON ANDREAS WYPUTTA
Das Ruhrgebiet ist nicht mehr schwarz wie die Kohle, nicht mehr rot wie die SPD und nicht einmal mehr rot-weiß wie Fritten-Soße. Mag der Bochumer Ruhrpottpoet Frank Goosen die Currywurst auch für den unverzichtbaren Ausdruck der „kulturellen Identität“ des Reviers halten – in den Innenstädten des von den Kulturhauptstadt-Geschäftsführern Fritz Pleitgen und Oliver Scheytt zur „polyzentrischen Metropole Ruhr“ erklärten Ruhrgebiets ist die klassische Pommesbude auf dem Rückzug.
Dabei war deren Angebot über Jahrzehnte ebenso unverrückbar wie klar: Die frittierten Kartoffeln, ob in einfacher oder doppelter Portion, bildeten lange vor McDonald’s nur das Einsteigerangebot für die Pottversion des Fastfoods. Immer im Programm waren die obligatorischen Bratwürste, wahlweise mit Curry-, Jäger- oder Zigeunersauce – politisch korrekt war das nicht immer, linguistische Experimente in Richtung „ungarische Puszta“ aber konnten sich trotz Gründung von vier Universitäten nicht durchsetzen. Wer in der Frittenschmiede auf dicke Hose machen wollte, bestellte ein Schnitzel, riskierte aber, von der Bedienung ob dieser Geldverschwendung schief angeguckt zu werden. Und als ernährungsphysiologisches Feigenblättchen durften Salate nicht fehlen: Die hatten zwar kaum Vitamine, dafür aber kalorienreiche Sahnesaucen obendrauf, egal ob Kraut oder Bohnen die Grundlage bildeten.
Doch die Herrlichkeit der Schwerstarbeiterrationen ist fast vorbei. Der Strukturwandel hat die Frittenbuden erfasst und sie wie die Zechen an die Peripherie gedrängt. Pommes Spezial (mit frischen Zwiebeln) bleiben in Bottrop, die besten halbierten Hähnchen serviert „Schanzenbach“ in einem umgebauten Weltkriegs-Hochbunker in Hamm an der Grenze zu Ostwestfalen.
Denn die Arbeitsmigration und noch mehr das Verschwinden der Malocherjobs in der Schwerindustrie hat das Revier bunt werden lassen: Den Pizzerien der Siebziger und den Dönerläden der Achtziger folgten etwa auf der Brückstraße in der Dortmunder Innenstadt eine Welle von Asia-Snacks und Thai-Currys – und verwandelten das Viertel zwischen dem Rockerclub „Spirit“, dem Museum für Kunst- und Kulturgeschichte und dem vom Land Nordrhein-Westfalen „zur Aufwertung des Quartiers“ mit Millionen bezuschussten Konzerthaus in eine globalisierte Fressmeile, auf der es alles gibt.
Und alles heißt wirklich alles: Um möglichst wenig Kunden zu verlieren, versuchen sich immer mehr Hochgeschwindigkeits-Gastronomen im kulinarischen Crossover. Der noch immer im Siebziger-Design aufgemachte „Kartoffel-Lord“ in der Brückstraße etwa verkauft längst nicht mehr nur Folienkartoffeln mit Quark – rein vegetarisch ist das Angebot noch immer, doch wie selbstverständlich steht auch ein „Arabic“ genannter Soja-Tofu-Falafel auf der Karte. „Nur Kartoffeln ist doch langweilig“, sagt ein Mitarbeiter dazu und lacht.
Ein paar Meter weiter in der Dortmunder Nordstadt hat „Calabria“ auf der Westerbleichstraße wie selbstverständlich eine Pizza mit Spargel und Sauce Hollandaise in Programm. „Schlemmermeyer“ arbeitet entlang der Fußgängerzonen Dortmunds und Essens dagegen mit westfälischem Grillschinken mit Kraut im Brötchen an der re-germanisierten Form des Döners. In Bochum-Altenbochum bietet „Picco Bello“ neben Pasta, Gyros und Vindaloos auch eine „Pizza Bollywood“ nach „indischer Art“ – scharf belegt mit „Zwiebeln, Knoblauch, Paprika, Hähnchen“, und auf Bochums Hattinger Straße wirbt „Babylon“ für eine Pizza „Gyros Calzone“.
Gut finden die babylonische Verwirrung nicht alle. „Original italienisch“ sei seine Küche, wirbt etwa Pino, Chef der „Pizzeria Teatro“ gegenüber dem Bochumer Schauspielhaus. „Natürlich ist die Konkurrenz hart“, sagt der aus Turin stammende Gastronom – über „Pizzabäcker, die von Pizza keine Ahnung haben“, ärgert er sich trotzdem. „Man muss sich was einfallen lassen, ohne sich zu verraten“, findet der Endvierziger – und nimmt neben der Standard-Pasta auch mal Muscheln oder ein Kaninchen-Sugo auf die Tageskarte.
Weg vom Gyros-Teller, hin zu viel Fisch und Gemüse wollen in Bochum auch die Griechen „Arli“ und „Yamas“. Beide konkurrieren so mit der mediterranen Küche des nur einen Steinwurf vom Schauspielhaus entfernten „Aubergine“ von Denise Ostrop oder dem Essener „La Grappa“ von von Rino Frattesi. Und wer unbedingt Michelin-Sterne braucht, reserviert einen Tisch im „Résidence“ in Essen-Kettwig, das viele für das beste Restaurant des Ruhrgebiets halten – sollte aber für das Sieben-Gänge-Menü „mit großer Weindegustation“ mindestens 200 Euro übrig haben.
Veredelung rettet selbst Pommes. Im Bochumer Bermuda-Dreieck, dem Catwalk des Reviers, bietet „Grobschnitt und Feines“ direkt neben einer Sushi-Bude frisch geschnitzte Fritten – und sonst nichts. Die von Grönemeyer schon 1982 besungene Currywurst gibt’s nebenan beim Metzger Dönninghaus. Der hat ansonsten aber nur noch Bratwurst im Programm – und glas- oder gleich eimerweise Currysauce zum Mitnehmen. Wer also Currywurst Pommes will, muss leider zwischen beiden Etablissements hin- und herpendeln.
Doch wer sich diesen ziemlich albernen Aufwand sparen will, fährt sowieso in den „Profi-Grill“ nach Wattenscheid. Hinter der Theke steht Raimund Ostendorp, einst Demi-Chef de Cuisine im „Schiffchen“ des Drei-Sterne-Kochs Jean-Claude Bourgueil in Düsseldorf. Irgendwann habe er keine Lust mehr gehabt und mit anderen Köchen gewitzelt: „Ich mach ’ne Pommesbude auf“, erzählt der 41-Jährige gern – und hat so Kurt Kotzlowskis „Imbißstube“ zu neuem Leben erweckt. Seit Anfang der Neunziger bietet der Ex-Sternekoch Pommes, Bratwurst und Schnitzel: Frisch wie im Résidence – aber viel günstiger: Ostendorps teuerstes Schnitzel kostet 5,10 Euro.
■ Andreas Wyputta, 40, lebt und isst schon immer im Ruhrgebiet
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen