: Gutes Kraut mit schlechtem Ruf
DAS VERGESSENE REZEPT Die Brennnessel ist ein ungeliebtes Gemüse. Wie schade. Ein Plädoyer
Als Beilage für 6 Personen
■ Zutaten: 250 Gramm junge Brennnesselblätter, 5 Eiweiß, 3 Frühlingszwiebeln, 50 Gramm Butter, 20 Gramm Mehl, 200 ml Milch, 50 Gramm Crème fraîche, Zitronenschale, 30 Gramm Parmesan. ■ Zubereitung: Eiweiß steif schlagen, Brennnesseln waschen und in kochendem Wasser blanchieren. Frühlingszwiebeln fein schneiden, mit den Brennnesseln in etwas Butter kurz andünsten. Restliche Butter im Topf schmelzen und mit Mehl zu einer Schwitze verarbeiten. Mit Milch zu einer dickflüssigen Sauce verrühren, Crème fraîche unterrühren und vom Feuer nehmen. Die Brennnessel-Mischung unterheben und etwas erkalten lassen. Dann das Eiweiß vorsichtig unterheben, Zitronenschale, Salz und Pfeffer beigeben. In feuerfeste, gebutterte Förmchen füllen, mit Parmesan bestreuen und 20 Minuten bei 180 Grad im Backofen backen.
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Es gab mal eine Zeit, da war die ganze Welt ein Supermarkt. Wer Hunger hatte, holte sich, was er brauchte, aus der Natur, und waren die Wiesen abgegrast und das Wild erlegt, zog man ein paar Kilometer weiter. Es war die Zeit der Sammler und Jäger, bevor die Menschen sesshaft wurden, also vor 20.000 Jahren.
Die Nachricht, dass man Pflanzen züchten und wilde Tiere zähmen kann, kam ein paar tausend Jahre später sogar in jener Gegend an, die wir heute Deutschland nennen. Seither sind unsere Vorfahren niedergelassene Bauern und der Speiseplan hat sich vermutlich radikal verändert. Es war der Tag, von dem an die Brennnesselsuppe langsam in Vergessenheit geriet.
Dabei ist der Supermarkt unserer Ahnen immer noch jedes Jahr von April bis Oktober durchgehend geöffnet. Zurzeit wächst beispielsweise der Bärlauch, dann sprießt der Waldmeister. Es folgen die Holunderblüten und bald schon die ersten Frühlingspilze. Alles umsonst und draußen, man muss nichts pflanzen, nichts düngen, nichts hacken. Nur ernten. Nur losziehen mit einem Korb und – im Falle der Brennnessel – mit einer Schere und Handschuhen.
Das Problem mit der Brennnessel ist ja so weit bekannt. Es ist wahrscheinlich auch der Grund für ihren miserablen Ruf. Wer einmal, in großer Not, nachts am Waldrand sein Geschäft verrichten musste, wird sich schwertun, diesem Kraut je wieder ein positives Gefühl entgegenzubringen. Dabei ist das ungerecht. Kaum eine andere Nutzpflanze ist so vielseitig, so leicht zu finden und so gesund wie eben die von Hoffmann von Fallersleben besungene „Brennessel, verkanntes Kräutlein, dich muss ich preisen / dein herrlich Grün in bester Form baut Eisen“.
HOFFMANN VON FALLERSLEBEN
Am bekanntesten sind heute noch die Brennnesselsuppe oder der Brennnesseltee (regt die Harnfunktion an). Dass dieses Gemüse zu weit mehr taugt, als ins Wasser geworfen oder bloß getrocknet zu werden, beweist das Brennnesselsoufflé. Der Geschmack seiner Blätter ist irgendwo zwischen Spinat und Rauke anzusiedeln, enthält eine leichte Bitternote und hat, nimmt man ausschließlich die jungen Blätter, einen an Muskatnuss erinnernden Anflug.
Tatsächlich taugen nur die frischen Spitzen als Gemüse. Die aber wachsen von April bis in den Sommer überall, selbst am Rande jedes Großstadtflughafens. Merkwürdigerweise ist die Brennnessel trotzdem weniger bei Hartz-IV-Empfängern beliebt als bei Sterneköchen. Alfons Schuhbeck, der bayerische Dieter Bohlen des Küchentopfes, trumpft mit einem Heilbutt auf Brennnessel-Vanille-Spinat auf, oder Roland Schmid, einer der besten Schweizer Köche, empfiehlt sein Rotbarbenfilet mit einer Brennnesselcremesauce (für 70 Schweizer Franken). Das mag teuer erscheinen, ist aber noch immer billiger als jede Knorr-Tütensuppe, zumindest was das Verhältnis von Preis und Inhalt angeht.
Das Rezept eines Brennnesselsoufflés hat noch einen weiteren, unschlagbaren Vorteil. Schmeckt es nicht, so kann man sich damit einschmieren oder sich darin wälzen. Denn Brennnesseln, so eine alte Volksweisheit, helfen hervorragend gegen jede Art von Gelenkentzündungen.
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