In einem stummen Kreis

EXPONAT Im Jüdischen Museum Berlin sitzen Juden in einer Box und beantworten Fragen. Verstörend?

■ Im Jüdischen Museum Berlin sorgt ein lebendiges Exponat derzeit für Aufregung: In einer Glasvitrine sitzt ein Jude, der die Fragen der Besucher beantwortet.

■ Die Vitrine erinnert an den Glaskasten, in dem Adolf Eichmann bei seinem Prozess in Israel saß. Das Jüdische Museum spielt mit dem Vorwurf, dass Juden in der Ausstellung als Schauobjekte missbraucht würden.

■ Die Ausstellung „Was Sie schon immer über Juden wissen wollten“ ist noch bis zum 1. September geöffnet.

VON STEFFI UNSLEBER
(TEXT) UND SONJA TRABANDT (FOTO)

Darf man Jude sagen? Eben haben wir noch gelacht, plötzlich ist der Blick nachdenklich. Oder ist jüdisch besser? Ehud Admon, aus Israel, seit einem halben Jahr Berliner, gewissermaßen deutsch, weil seine Vorfahren hier gelebt haben (bis die Nazis kamen), aber irgendwie auch nicht, weil er ja Israeli ist, er sagt: „Wenn jemand fragt: Bist du Jude?“, er überlegt, „ich glaube, es ist okay.“ Israeli, das ist einfacher, da schwingen weniger Konnotationen mit. Aber Jude? Da denkt man sofort an einen gelben Stern vorne an der Jacke.

Hatten wir das nicht schon alles überwunden? Große Nase, dicke Konten, Weltverschwörung – wer glaubt heute noch an diese Stereotype? Gerade läuft im Jüdischen Museum Berlin eine Ausstellung: „Was Sie schon immer über Juden wissen wollten“. Sie zeigt, dass es immer noch eine Menge Gesprächsbedarf gibt. Es geht vor allem um die Unsicherheit der Deutschen.

Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem. Ein Schweizer Jude, Journalist, hatte mich mitgenommen. Mir war schlecht, ich konnte mich nicht konzentrieren, ich fühlte mich beobachtet. Mir schien, als lauere er darauf, dass ich Emotionen zeige, mindestens Tränen. Ich sagte wenig, irrte von einem Ahnenbild zum nächsten, die Frage der Empfangsdame, die mir einen Flyer geben wollte – „Deutsch?“ –, kroch meinen Rücken hinauf.

Es gibt auch diesen Moment mit israelischen Freunden, wenn sie mehr über Nazis wissen als ich. Ich meine dann, Missbilligung zu spüren.

Woran erkennt man einen Juden?

Sind die Juden auserwählt?

Lässt sich die Vergangenheit bewältigen?

Draußen, vor dem Jüdischen Museum, gibt es eine kleine Polizeistation. In der Empfangshalle wird das Gepäck durchleuchtet wie am Flughafen.

Warum mag keiner die Juden?

Die Fragen stehen weiß auf schwarzen Boden, im Hintergrund singt eine Frau: „Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld! An allem sind die Juden schuld!“

Daneben ein Knopf: Man soll „Jude“ in ein Mikrofon sprechen und sich anhören, wie das klingt. „Klingt es so, wie sie es gemeint haben?“, steht da. Bei mir kommt nur Rauschen, ich spreche zu leise, ich flüstere nur: „Jude.“

Wer ist ein Jude?

Sind Juden besonders intelligent?

Gibt es noch Juden in Deutschland?

In einem Vitrine aus Glas sitzt ein Jude. Man kann ihm Fragen stellen. Manchmal klopft er auf das rote Polster neben sich. Dann sitzt man mit ihm im Glashaus.

Über den „Jew in the box“ echauffiert sich die internationale Presse, die britische Daily Mail oder die Jerusalem Post. Wie im Zoo, beschweren sich manche deutsche Juden. „Lustig“, findet Ehud. Heute sitzt dort Ido Porat, ein Israeli, der seit 2006 in Berlin lebt, als Touristenführer arbeitet und seine Doktorarbeit über die dritte Generation des Holocaust schreibt. Wie er sich fühlt, dort in der Vitrine, fragt einer, der zu einer Gruppe französischer Juden gehört. „Great“, sagt Porat.

Viele bleiben stehen, bilden einen stummen Kreis, hören zu. Ido Porat grinst, ermunternd.

Ob seine Großmutter noch fröhlich sein könne, nachdem sie aus dem KZ befreit worden war, fragt eine junge Schweizerin. Ja, sagt Porat, aber sie kann kein Polnisch mehr sprechen. Wie sie es findet, dass er in Berlin ist? Sie hat in Israel Deutsch gelernt, erzählt er, und sie mochte Willy Brandt. Für ihn hat sich mit dem Umzug nach Deutschland ein Kreis geschlossen.

Kann man einen Schlussstrich unter den Holocaust ziehen?

Madeleine Albright, die frühere Außenministerin der USA, stellt an diesem Tag in Berlin ihr neues Buch vor: „Winter in Prag. Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg“. Sie erfuhr spät von ihren jüdischen Wurzeln.

Jetzt sitzt sie mit Ido Porat auf dem Polster in der Vitrine, drumherum aufgeregte Museumsbesucher, die mit ihren iPhones ein Blitzlichtgewitter erzeugen. Ab und zu hört man, worüber Albright und Porat sprechen.

„Wie kann man einen Schlussstrich ziehen?“, fragt Albright. „Ich hatte nie jemanden, den ich Opa oder Oma nennen konnte. Ich war zwei Jahre alt, als sie umgebracht wurden.“

Darf man Witze über den Holocaust machen?

Über den „Jew in the box“ echauffiert sich die internationale Presse. Manche sagen: wie im Zoo. Und unser jüdischer Begleiter? „Lustig“

In Israel machen alle Witze über den Holocaust. Dürfte ich dürre Mädchen auf der Straße Holocaust-Modell nennen, so wie die Israelis?

Ehud sagt, die besten Witze über Juden habe er von seinem deutschen Mitbewohner, der in einem jüdischen Kindergarten arbeitet.

Kann man aufhören, Jude zu sein?

Es gibt keine Stadt, die bei jungen Israelis beliebter ist als Berlin. Es gibt im Internet Anleitungen, wie man den deutschen Pass bekommt – wenn die Vorfahren Deutsche waren – und wie man mit Hartz IV in Berlin leben kann. Ehud hat das getan, jetzt lernt er Deutsch. Warum?

Deutschland ist sicher. Vor Atombomben, vor Ultraorthodoxen.

Ausgerechnet Deutschland.

Was bedeutet es also, jüdisch zu sein? Immer das Gefühl von Verfolgung?

Im Museum steht ein Zitat an der Wand, vor dem Ehud lange verharrt. Sigmund Freud, 1930: „Keiner wird sich leicht in die Gefühlslage des Autors versetzen können, der die heilige Sprache nicht versteht, der der väterlichen Religion – wie jeder anderen – völlig entfremdet ist, an nationalistischen Idealen nicht teilnehmen kann und doch die Zugehörigkeit zu seinem Volk nie verleugnet hat. Fragte man ihn: Was ist an dir noch jüdisch, wenn du alle diese Gemeinsamkeiten aufgegeben hast?, so würde er antworten: Noch sehr viel, wahrscheinlich die Hauptsache.“

Das, sagt Ehud, das ist es.