: Stimmverlust im Kälteraum
PREMIERE AN DER DEUTSCHEN OPER Philipp Stölzl hat Richard Wagners Jugendwerk „Rienzi“ so weit zusammengestrichen, dass es in einen Videoclip über die modernen Diktatoren der Welt passt
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Dass Richard Wagner, der Antisemit, nicht schuld war an den Nazis, ist ein historischer Freispruch auf Bewährung. Alle Inszenierungen seiner großen Werke müssen, ob sie wollen oder nicht, nachweisen, dass da wirklich nicht Hitlers Ungeist wallet und schallet im mythischen Nebel dieser Fantasiewelten. Nur für „Rienzi“ gilt beides nicht, der ersten Oper, mit der Wagner, gerade 26 Jahre alt, Erfolg hatte – weder der Freispruch noch die Bewährungsauflage.
Es ist Hitlers Oper. Der ebenfalls noch sehr junge Adolf hatte sie in Linz gehört und kam nie mehr davon los. Was Wagner aus der historischen Figur des Cola di Renzo, einem gleich zweimal gescheiterten Aufrührer im Rom des 14. Jahrhunderts, gemacht hatte, war das Modell der politischen Vorstellungen des späteren Nationalsozialismus: ein Führer, rein und edel, der sein Volk aus dem Sumpf der Politik und der Geschäfte befreit und es zur Weltherrschaft führt.
Philipp Stölzl hat dieses Stück inszeniert, als sei er der Staatsanwalt am imaginären Weltgerichtshof für politische Agitation. Nein, der junge Hitler hatte gar nichts falsch verstanden bei dem jungen Wagner, und nicht nur Hitler, auch Mussolini, Stalin, Mao, Pol Pot und wie sie alle heißen, könnten sich zu Recht berufen auf das Vorbild von Rienzi, dem „letzten der Tribunen“, wie der volle Titel lautet. Zum Beweis hat Stölzl so ziemlich alles in den Kulissen aufgefahren, was wir heute kennen an Ikonen der Diktatur. Die optische Wucht dieser Anklage ist so überwältigend, dass man sich am Ende des zwei Stunden dauernden Feuers eines gigantischen, in Realzeit ablaufenden Videoclips fragt, warum sie eigentlich nicht auch für Obama, Martin Luther King oder Kennedy gilt?
Der Diktator erhebt sich
Nun, so radikal ist Stölzl nicht. Er begann als Bühnenbildner und kam über die Werbung, Musikvideos und Kinofilme zur Oper, die er ganz unbefangen begreift als absolut moderne, multimediale Art, Geschichten zu erzählen. Zur Ouvertüre gibt die Bühne den Blick frei auf ein in Schwarz-Weiß gefilmtes Alpenpanorama vor dem Fenster des Führerhauptquartiers in Berchtesgaden. Rienzi sitzt mit dem Rücken zu uns am Schreibtisch, man sieht nur seine Hand, die versuchen möchte, das Orchester zu dirigieren. Das gelingt nicht so recht, der Diktator erhebt sich, ein korpulenter Mann in Uniform, hier noch glänzend gespielt von einem Schauspieler, versucht der Musik zu folgen, lässt sich von ihr hinreißen zu einem wahren Rausch der Macht, der ihn über Schreibtisch und Fenstersims turnen lässt. Das Alpenpanorama verblasst schon bald und macht nun dem Bild des Planeten Erde Platz, den der Führer aller Völker zu Wagners schmetterndem Blech in seinen Armen auffangen kann.
Eine wunderbar komische Szene ist das, und natürlich von Chaplin gestohlen – auch Stefan Herheim hatte an der Staatsoper Ähnliches versucht zum Vorspiel des „Lohengrin“, aber es ist ihm nicht annähernd so gut gelungen. Im Grunde enthält sie schon alles, was nachher zu sehen ist. Vor allem zu sehen, denn Stölzl erzählt in Bildern, die Psychologie der Figuren oder die Dramatik der Musik interessierten ihn so wenig, dass er das Stück um mehr als die Hälfte gekürzt hat, um es seiner Idee einer optischen Dramaturgie anzupassen.
Am Rande des Irrsinns
Das ist nicht verwerflich, schon Wagner hatte nach der Uraufführung in Dresden Striche vorgeschlagen, aber der Preis ist hoch. Orchester und Chor bieten jetzt fast nur noch Märsche, unter der Leitung von Sebastian Lang-Lessing so stramm und korrekt vorgetragen wie die Bilder, die Stölzl dazu laufen lässt: Expressionistisch verschachtelte Ansichten futuristischer Metropolen, der Diktator am Rednerpult vor den Fahnen seiner Partei, allgegenwärtig wie das Markenzeichen seiner Herrschaft, das ein runenhaft stilisiertes, weißes „R“ in einem auf der Spitze stehenden, schwarzen Quadrat zeigt.
Die Liste der visuellen Zitate dürfte endlos sein und beweist, dass Stölzl ein ausgewiesener Fachmann des Mediendesigns ist. Die Sängerinnen und Sänger haben es schwer in diesem durchgestylten Kälteraum, vor allem Torsten Kerl als Rienzi, der für die Live-Kamera großartige Gesichtspantomimen eines Demagogen am Rande des Irrsinns liefert, aber versagt, sobald er wirklich singen muss. Nur mit Mühe gelingt es ihm dann, seinen eigentlich sehr wohl gepflegten und beherrschten Tenor im Tosen von Orchester und Chor hören zu lassen. Weit besser kann das Kate Aldrich in der Hosenrolle des Adriano, der in Stölzls Kurzfassung leider nur noch eine kaum verständliche Nebenfigur ist.
So weit Stölzls Anklage der Volksverführung. Sie ist so virtuos wie folgenlos. Wagner selbst hat sein Jugendstück verworfen und sogar verboten, es jemals in Bayreuth zu spielen. Ratlos hielten sich Buhs und Bravos die Wage nach der Premiere. Natürlich wissen wir, dass Diktatoren böse sind. Aber was ist mit Wagner? Man weiß es nicht.
■ Nächste Aufführungen: 30. 1., 10. 2. 2010
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen