: Zurück in die Zukunft
Kommunale (Stadt-)Jubiläen sind groß im Kommen, da sie nicht nur der Identitätsstiftung vor Ort dienen, sondern auch dem Stadtmarketing. In Oldenburg denkt man deshalb darüber nach, 2008 ein 900-jähriges Jubiläum zu feiern – dabei wurde erst vor zehn Jahren ein 650-jähriges begangen
von Morten Helbing
Da staunt man nicht schlecht: Oldenburg altert im Zeitraum von 1995 bis 2008 um 250 Jahre. 1995 nämlich feierte Oldenburg das 650-jährige Jubiläum der Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1345. Nachdem das letzte Oldenburger kulturelle Großereignis, ‚der Jahrhundertschritt 05‘, an mangelnden Zuschauerzahlen litt, ist nun das nächste datumfixierte Stadtfest schon in Sicht: Die erste urkundliche Erwähnung im Jahre 1108. Damals umfasste Oldenburg nicht mehr als eine kleine Burg und einige Gehöfte am Ufer der Hunte. Derzeit wird in der Stadt diskutiert, auf Grundlage dieses Datums 2008 ein 900-jähriges Jubiläum zu feiern.
Der lockere Umgang mit Jubiläumsfeiern ist historisch gesehen nichts Neues: Die Praxis der zyklisch wiederkehrender Jubelfeiern entstammt dem alten Testament. Dort wird jedes siebte Jahr als Sabbatjahr bezeichnet, analog zum wöchentlich wiederkehrenden jüdischen Sabbat. Nach sieben Zyklen des Sabbatjahres, also nach dem 49. Jahr, wurde das 50. gefeiert. Im Jubeljahr sollte weder gesät noch geerntet werden, veräußerter Grundbesitz fiel an ursprünglichen Eigner zurück und leibeigene Knechte durften zu den Ihren zurückkehren.
Die Idee, zu runden Jubiläen Großzügigkeit oder Gnade walten zu lassen, ist auch heute noch beliebt: Firmen geben Kundenrabatte und Staaten begnadigen Häftlinge anlässlich von Staatsjubiläen. Die Kampagne „Erlassjahr 2000“ bezog sich in ihrer Forderung nach einem umfassenden Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer ausdrücklich auf die Tradition des kirchlichen Jubeljahres: 1300 erfand Papst Bonifaz VIII das heilige Jahr, in welchem alle Sünden der Rompilger vergeben werden sollten. „Der Erfolg des heiligen Jahres, d. h. die große Nachfrage die es bei den Gläubigen fand, ließ bald eine Verkürzung der Fristen als sinnvoll erscheinen“, schreibt der Historiker Winfried Müller. Und so kam man auf die Marketingidee, von nun an das heilige Jahr alle 25 Jahre zu begehen.
Kommunale Jubiläen zählen zu den erfolgreichsten Spielarten moderner Jubiläumskulturen. Nach Meinung des Historikers Paul Münch ergreifen Städte und Dörfer bei jedem sich anbietenden Termin fast zwanghaft zu der Möglichkeit, sich in ihrer möglichst langen Geschichte selbst zu bespiegeln.
Von zwanghaftem Jubilierwillen ist im Oldenburger Fall derzeit nichts zu spüren – ganz im Gegenteil gibt man sich äußerst skeptisch. Die Oldenburger Ratsfraktionen von CDU und FDP wollen sich zu der Idee eines erneuten Stadtjubiläums erst äußern, wenn konkrete Informationen auf dem Tisch liegen; der Grüne Jochen Pade zeigt sich irritiert, dass 20.000 Euro Projektgelder ohne weitere Informationen abgesegnet werden sollen. Und die Leiterin der Oldenburger Touristik und Marketing GmbH findet es zwar wichtig, solche Feiern zu begehen, möchte diese aber auch nicht unnötig aufbauschen.
Der fehlende Enthusiasmus erklärt sich aus den enttäuschenden Erfahrungen mit dem letzten Oldenburger Großjubiläum, dem „Jahrhundertschritt 05“. Der „Jahrhundertschritt 05“ sollte in Reminiszenz an die Oldenburger Landesausstellung 1905 eine Mischung aus Kunst-, Architektur- und Technikpräsentation der Region darbieten und damit die Innovationskraft der Region unterstreichen. Während die Landesausstellung vor 100 Jahren mit einer beachtlichen Zahl von 650.000 Besuchern abschließen konnte, fanden sich 2005 nur 55.000 Gäste zum „Jahrhundertschritt“ ein. Einnahmen von 25.000 Euro standen 1,2 Millionen Euro Ausgaben gegenüber. Kurzfristig war den Veranstaltern das geplante Herzstück des Projekts, die Rekonstruktion der Behrenspavillons der Landesausstellung 1905 abhanden gekommen. Der Oldenburger Architektenverein hatte die notwendigen Sponsorgelder nicht eintreiben können.
Kein Traumstart für den 2004 in der Huntestadt aufgeschlagenen Martin Schumacher. Vormals als Akteur auf der internationalen Bühne tätig, Leiter der Goetheinstitute von Turin, Madrid und Montevideo, zeitweise auch stellvertretender Generalsekretär der Gesamtorganisation, musste sich Schumacher 2004 als frisch ernannter Kulturdezernent Oldenburgs mit dem Remake einer regionalen Landesausstellung des Jahres 1905 auseinander setzen, die in der Regionalpresse als „Expo des beginnenden 20. Jahrhunderts“ hochgejubelt wurde.
Schumacher scheint nun den „Jahrhundertschritt“-Misserfolg schnell vergessen zu wollen und befürwortet das Oldenburger Jubelfest zur ersten urkundliche Erwähnung. „Der Jahrhundertschritt war eine sehr anspruchsvolle und spezielle Veranstaltung“, sagt er. Ein Stadtjubiläum müsse dagegen ein Volksfest sein. So könne er sich vorstellen, das Fest durch ein Mittelalterspektakel zu begehen. Dies solle aber nicht nur ein idealisiertes Mittelalter darstellen, sondern auch harten Alltag zeigen. Ein solches Fest könne der Selbstreflexion dienen und identitätsstiftend sein.
Der Lübecker Stadtmarketingexperte Mario Mensing bestätigt, dass durch Wettbewerbe und Jubiläen ein Wir-Gefühl entstehen kann, welches ungeahnte Kräfte für die Stadtentwicklung freisetzen könne. „In Münster war die halbe Stadt auf den Beinen, um die Jury für die Auswahl der Kulturhauptstadt Europa persönlich zu begrüßen.“ Allerdings seien solche Kräfte nicht beliebig abrufbar: „Die Klaviatur ist schnell überspannt.“ Ein Projekt dürfe nicht zur leeren Hülle verkommen, die von innen her wegfaule. Eine kurzfristige Eventkultur verletze das Gebot der Nachhaltigkeit städtischer Entwicklung. „Wichtig ist mir, dass alle gesellschaftlichen Gruppen bei den Planungsprozessen einbezogen werden“, äußert Mensing.
„Die Städte sind in Zeiten knapper Kassen gezwungen, sich durch Alleinstellungsmerkmale herauszustellen“, ergänzt der Soziologe Thomas Krämer-Badoni von der Uni Bremen. Früher habe man die Tendenz zur Festivalisierung der Stadtkultur scharf kritisiert. Heute sei es ihm zu einfach, Stadtmarketingkonzepte mit dem Vorwurf der Warenförmigkeit von Kultur abzukanzeln. Ironischerweise würden gerade die Linken immer auf die Kosten-Nutzen Relation von Kulturveranstaltung verweisen. „Sie vergessen dabei die sozialintegrative Wirkung von Festivitäten“, sagt Krämer-Badoni.
Ob sich Schuhmann mit seiner Jubiläumsidee durchsetzen kann, ist fraglich. Für den Leiter des Oldenburger Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, Bernd Küster, hatte das Projekt „Jahrhunderschritts 05“ „große Defizite“ – Küster folgert aus dieser Erfahrung, nicht unbesehen auf die Idee eines Stadtjubiläums einzuschwenken. Und Mamoun Fansa, Leiter des Landesmuseums für Natur und Mensch, betont: „Mit solchen Terminen wie dem Stadtjubiläum muss seriös umgegangen werden. Wir wollen schließlich keine Spektakel veranstalten.“
Schumacher ist zu wünschen, dass sich der Jubiläumsplan nicht als „Oldenburger Wunderhorn“ entpuppt, das viel verspricht, doch wenig hält. Ein Trank aus diesem Horn genossen, so die Sage, werde dem Oldenburger Land viel Gutes bringen. Das jedenfalls versprach laut Gebrüder Grimm eine schöne Jungfrau dem Oldenburger Grafen Otto. Otto war jedoch misstrauisch: Er trank nicht – und stellte fest, dass der Trank vergiftet war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen