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BERNWARD JANZING ÜBER DIE NEUE STROMTRASSENREGELUNGDas Denken im Gesamtsystem

Das klingt alles schön logisch: Im Norden Deutschlands wird viel Windstrom erzeugt, dazu auf den Meeren. Im Süden und Westen hingegen sitzt die Industrie. Es braucht nur viele neue Stromleitungen.

Nun ist diese schlichte Wahrheit natürlich nicht gänzlich falsch. Aber sie umschreibt nur einen kleinen Teil der Optionen beim Aufbau einer regenerativ geprägten Stromwirtschaft. Und deswegen muss die Frage erlaubt sein, ob der Netzausbau in großem Stil wirklich die beste aller Optionen ist.

Ein paar Beispiele. Speicher reduzieren den Bedarf an Netzen; sollten dezentrale Speicher sich durchsetzen, wie von der Solarbranche erhofft, käme man mit weniger Hochspannungsleitungen aus. Zudem reduzieren flexible Verbraucher den Bedarf an Netzen. Gestern wurde eine Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung und der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft bekannt; sie zeigt, dass die süddeutsche Industrie durch Flexibilisierung ihrer Prozesse eine Leistung von 850 Megawatt über zwei Stunden abschalten und den Verbrauch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben kann. Das entlastet die Transportnetze, da auf diesen die Engpässe oft nur kurzzeitig bestehen.

Auch ein kluger Kraftwerkseinsatz braucht weniger Netze. Heute kommt es regelmäßig vor, dass Kohlekraftwerke in Ostdeutschland laufen, Gaskraftwerke im Süden aber stillstehen. Gleichzeitig klagt man über fehlende Leitungen vom Osten in den Süden. Würde man statt Strom aus Kohle am falschen Ort eben Strom aus Gas am richtigen Ort erzeugen, könnte das Netz bescheidener ausfallen – am Ende wäre das für die Volkswirtschaft vermutlich billiger. Doch leider hat es derart systemisches Denken in der Debatte schwer. Wo es doch so eine eingängige Lösung gibt: Leitungen bauen auf Teufel komm raus.

Wirtschaft + Umwelt SEITE 9

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