: Diva gegen Wahlfälscher
STICHWAHL Präsident oder Präsidentin? Die Ukrainer wählen am Sonntag. Die Fronten sind verhärtet wie eh und je
■ Wiktor Janukowitsch könnte am Sonntag auf legalem Weg gelingen, was er vor fünf Jahren mit Fälschungen nicht erreicht hat: das Präsidentenamt erlangen. Die Wahlfälschungen waren es, die im November 2004 viele Ukrainer auf die Straße trieben und die Orange Revolution auslösten. Auch heute gilt der 59-Jährige vielen als Halbkrimineller, weil er in seiner Jugend wegen Körperverletzung in Haft war und wegen der Wahlfälschung. Janukowitsch wurde 1950 im russischsprachigen Donbass im Osten des Landes geboren. 1996 stieg der einstige Installateur in die Politik ein. 2002 baute ihn der damalige Präsident Kutschma zum Nachfolger auf. Als eigentlicher Pate Janukowitschs gilt allerdings der Donezker Oligarch Rinat Achmetow. Janukowitsch hat sich nach dem Fiasko von 2004 schnell herholt. Seine „Partei der Regionen“ erhielt bei den Parlamentswahlen die meisten Stimmen. Im ersten Wahlgang am 17. Januar hatte Janukowitsch mit 35 Prozent die Nase vorn.
AUS LEMBERG JURI DURKOT
Es ist bitterkalt in Lemberg, minus 17 Grad. Die frostige Luft scheint in der Nase und im Mund stecken zu bleiben, man muss sie fast mit Gewalt einatmen. Vom Wahlkampf ist nicht viel zu merken, hier und da sieht man die Porträts der beiden Spitzenkandidaten. Es geht am Sonntag in die Stichwahl – und für die Premierministerin Julia Timoschenko und den Oppositionsführer Wiktor Janukowitsch um alles oder nichts. Janukowitsch führt nach dem ersten Wahlgang mit einem Vorsprung von rund 10 Prozent.
Doch Lemberg ist kein Janukowitsch-Land. Der Mann, der 2004 mit Wahlfälschungen an die Macht kommen wollte, hat sich in der westukrainischen Metropole nicht blicken lassen. Ihm sind die Halden und Fabriken im Osten und Südosten des Landes näher, dort versucht er seine Stammwähler zu mobilisieren. Als Vertreter der Partei der Regionen, die in erster Linie die Interessen des Großkapitals vertritt, wird er überwiegend von Industriearbeitern gewählt. Ein ukrainisches Paradox.
Genpool oder Genozid?
In der Westukraine kommt der bullige, steif wirkende Mann nicht gut an. Galizien und Janukowitsch sind wie Fremdkörper. Hier nimmt man ihm alles übel – seinen rüden Stil, seine dunkle Vergangenheit, in der er als Jugendlicher zweimal vorbestraft wurde, seine Nähe zu Russland und die unbeholfenen Auftritte, über die sich das ganze Land lustig macht. So sprach er bei einer Kundgebung vom „besten Genozid des Landes“ – und meinte „Genpool“.
In der Region Lemberg hat Janukowitsch am 17. Januar nur knapp über 5 Prozent der Stimmen erhalten, gerade 2.000 mehr als vor fünf Jahren. Mehr ist hier für ihn nicht zu holen.
Anders für Timoschenko. Wie sie zeigt, kann ein Politiker aus dem Osten im Westen durchaus erfolgreich sein. Hier verzeiht man der einstigen „Gasprinzessin“ aus dem ostukrainischen Dnipropetrowsk vieles – ihre dubiosen Geschäfte in den Neunzigerjahren, ihren nicht weniger autokratischen Stil, den ungezügelten Populismus und die angeblichen Deals mit Wladimir Putin. Vieles, aber nicht alles. In einer Festveranstaltung in der Oper wird ihr ein ziemlich kühler Empfang bereitet, bei ihrer Rede geht ab und zu ein missfälliges Raunen durchs Publikum. Die Enttäuschung ihrer Wähler ist groß, und sie ist größer als die der Janukowitsch-Anhänger. Die ständigen Fehden zwischen Timoschenko und dem noch amtierenden Präsidenten Juschtschenko, den einstigen Protagonisten der „Orange Revolution“, die Wirtschaftskrise und die Parlamentsblockaden haben das Vertrauen schwinden lassen.
Auf dem Freiheitsprospekt, der Flaniermeile von Lemberg, wurde eine Bühne aufgebaut. Der Prospekt führt von der Oper über das Grand Hotel bis zum alten Hotel George am Mickiewicz-Platz, in dem heute österreichisches Flair mit sowjetischer Kultur eine skurrile Symbiose eingegangen ist. Gegenüber dem Grand Hotel steht das Denkmal für Schewtschenko. Die Säule, die für seinen Dichterkollegen Mickiewicz errichtet wurde, kann man von hier aus gut sehen. Taras Schewtschenko und Adam Mickiewicz – zwei Dichter, zwei Nationalsymbole für Ukrainer und Polen und zwei wichtige Denkmäler der Stadt.
Eine Kosakenversammlung
Allmählich füllt sich der Platz. Hier haben in den letzten Jahren der Sowjetzeit die ersten Spontandemonstrationen stattgefunden, hier haben sich nach der gefälschten Wahl im November 2004 tausende Menschen zum Protest versammelt. Für heute wurde ein „Wetsche“ angekündigt, eine Art Volksversammlung, die an Kosakentraditionen anknüpft. Trotz klirrender Kälte harren die Menschen auf rutschigen Marmorplatten aus, getaucht in das gelbe frostige Licht der Straßenlaternen.
Es sind überwiegend junge Leute mit Fahnen und Transparenten. Sie fangen an, die blau- gelben Nationalflaggen und die weißen Timoschenko-Fahnen mit einem roten Herz zu schwenken. Sie sind aus verschiedenen Regionen gekommen, wie man auf den Transparenten lesen kann. Aus Donezk und Luhansk, Charkiw und Saporischja – überwiegend aus dem Osten. Sie sollen die Einheit der Ukraine symbolisieren, denn heute ist der 22. Januar, ein symbolträchtiger Tag für die Ukraine, der Tag der Einheit. An diesem Tag haben 1919 mitten in den Wirren des Bürgerkrieges und des ukrainisch-polnischen Krieges die Ukrainische Volksrepublik und die Westukrainische Volksrepublik ihre Vereinigung verkündet – zwei Staaten, die mehr auf dem Papier existierten als in der Realität.
Daran will man anknüpfen. Deswegen ist Julia Timoschenko nach Lemberg gekommen, und um für Wählerstimmen zu kämpfen. Galizien in der Westukraine kann zum Schlüssel werden. Hier hat Timoschenko nur knapp gegen Wiktor Juschtschenko gewonnen, den scheidenden Präsidenten. In der Stadt Lemberg hatte Juschtschenko gar die Nase knapp vorn. Nach fünf Jahren ist Juschtschenko, der einstige Hoffnungsträger, auf die Größe eines Präsidenten von Lemberg geschrumpft.
Timoschenko will hier den Rückstand von mehr als 2,5 Millionen Stimmen hinter dem Rivalen Janukowitsch aufholen. Allein in Galizien geht es um insgesamt knapp 1,5 Millionen, die in der ersten Wahlrunde an Juschtschenko und andere Kandidaten aus dem demokratischen oder nationalen Lager gegangen sind. Der scheidende Präsident Juschtschenko hat seine Wähler nicht aufgerufen, für Timoschenko zu votieren – nicht einmal als „kleineres Übel“. Viele Ukrainer halten sie im Vergleich zu Janukowitsch tatsächlich für das kleinere Übel. Andere finden beide gleich schlimm. Für oder gegen jemanden auf die Straße gehen will heute keiner mehr, höchstens gegen Geld.
Geplatztes Fernsehduell
■ Julia Timoschenko: Ihr geflochtener Haarkranz ist das Markenzeichen – kein Zweifel, die Ministerpräsidentin hat ein Händchen für PR. Ihre Botschaft: Nur sie kann das Land retten. Vor fünf Jahren hat sie es mit dem damals neuen Präsidenten Juschtschenko als Traumpaar der Orange Revolution schon einmal versucht. Gehalten hat diese Ehe neun Monate. Danach lieferten sich beide einen Krieg, aus dem die 49-Jährige als Siegerin hervorging. Kämpfen kann die Frau, die 1960 in Dnipropetrowsk geboren wurde und in einfachen Verhältnissen aufwuchs. Ihre Chance kam mit der Perestroika und einem Videoverleih, den sie mit ihrem Mann eröffnete. Doch schon 1995 führte sie die Vereinigten Energiesysteme der Ukraine, die mit Gas handelten. 1996 stieg sie in die Politik ein – und hier bald auf. Ende 1999 holte sie der neue Ministerpräsident Wiktor Juschtschenko als seine Stellvertreterin für den Energiesektor in die Regierung. Damals begann auch ihre Selbststilisierung. Die U-Haft 2001 wegen Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung nährte bei ihren Fans nur ihren Ruf als unbeugsame Patriotin. Vor allem in der Westukraine zieht das. Am 17. Januar kam sie mit 25 Prozent auf den zweiten Platz.
Die gemäßigten Töne, die Timoschenko und Janukowitsch angeschlagen hatten in der Hoffnung, Wähler aus den jeweils anderen Regionen zu gewinnen, haben sie abgelegt. Jeder versucht, seine Stammregionen zu mobilisieren und den Gegner zu dämonisieren. Als sich Janukowitsch beim Fernsehduell nicht blicken ließ, schimpfte Timoschenko ihn einen Feigling und Schwächling. Mit Frauen könne man ohnehin nicht diskutieren, konterte der Rivale. Er empfahl, Timoschenko solle zurück in die Küche.
Die Nervosität wächst. Bereits beim ersten Wahlgang sorgten „durchtrainierte“ junge Georgier für Aufregung. Sie seien als Wahlbeobachter eingereist, hätten dann aber im Osten angeblich die Stimmabgabe gestört – um so Timoschenko zu helfen. Und vor wenigen Tagen meldete der ukrainische Geheimdienst, dass im Großraum Odessa fünf russische Spione beim Versuch ertappt worden seien, sich Staatsgeheimnisse zu verschaffen. Zudem hat Julia Timoschenko am Donnerstag Massenproteste für den Fall angekündigt, dass Janukowitsch zu „unehrlichen Mittel“ greife.
Beheizte Plastikherzen
Ein Konzert beginnt. Die Rock- und Popstars hüpfen auf der beheizten Bühne herum. Ein paar Passanten bleiben stehen. Doch es ist zu kalt. Timoschenko kommt wie eine Rockdiva auf die Bühne. Sie beschwört die Einheit der demokratischen Kräfte, wirbt für den europäischen Kurs und nennt Janukowitsch ein Relikt aus der Sowjetzeit. Plastikherzen, mit einem Gasbrenner beheizt, fliegen in die Luft.
Auf den Transparenten unterstützen hier alle Timoschenko. Nur die jungen Männer aus Saporischja, als Kosaken verkleidet, fallen aus der Rolle. Sie sind nicht nur für Timoschenko, sondern auch für eine Justizreform. Aber warum? Der kleine Kosake mit Schnurrbart, Pluderhose und Kosakenmütze hat keine Erklärung parat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen