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Die Gegenwart in Manila

KINO Mit neorealistischer Doktrin: Auf den Philippinen gibt es eine quirlige Independent-Filmszene, der Regisseur und Cannes-Preisträger Brillante Mendoza ist ihr interessantester Vertreter. Das Arsenal zeigt nun eine Werkschau

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Im vergangenen Jahr beim Filmfestival von Cannes erhielt Brillante „Dante“ Mendoza für seinen Film „Kinatay“ (Gemetzel, 2009) den Preis für die beste Regie. Der Film erzählt die Geschichte des Mordes an einer Prostituierten, zum größten Teil in der tiefsten und finstersten Nacht gedreht. Es gibt sehr wenig Dialog, aber viele kaum zu ertragende Gewaltszenen. Mendoza war der erste Filipino, der je in Cannes für einen Spielfilm ausgezeichnet wurde. Jetzt zeigt das Arsenal eine Retrospektive des Regisseurs.

Schon vor dem Überraschungserfolg in Cannes war Mendoza einer der respektiertesten Regisseure des Independent-Kinos der Philippinen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich dank der Verbreitung von vergleichsweise billigen digitalen Videokameras in dem Entwicklungsland eine Szene von unabhängigen Regisseuren etabliert, die auf Filmfestivals in der ganzen Welt reüssieren. Lav Diaz, Raya Martin, Khavn de la Cruz und Adolfo Alix Jr sind nur einige der Filmemacher, die die Philippinen zu einem viel beachteten Filmland machen, auch wenn ihre Filme im eigenen Land nur ein kleines Publikum finden.

Mendoza hat in den vergangenen sechs Jahren neun Filme gedreht, die zum Teil – dank seiner französischen Produktionsfirma Swift Productions – auch im Ausland in die Kinos kamen. Er ist der einzige Regisseur, der in drei aufeinanderfolgenden Jahren einen Film in Cannes hatte, eine Aufbauarbeit, die sich bei „Kinatay“ auszahlte. Nicht schlecht für einen Filmemacher, der seinen ersten Spielfilm mit 45 drehte, nachdem er erst als Ausstatter für philippinische Mainstream-Filme gearbeitet hatte und dann fast 20 Jahre Werbefilme drehte.

Sein erster Spielfilm war der in einer Woche gedrehte Low-Budget-Digitalfilm „Masahista“ (Masseur, 2004). Als wollte er seine Vergangenheit als Werbefilmer exorzieren, filmte Mendoza den Tag eines jungen Mannes, der morgens seinen Vater beerdigt und abends in einem Massagesalon seine Kunden erst durchwalkt und dann sexuell bedient, in schlierigen Videobildern. Hier war das neue Medium Digitalvideo nicht nur Mittel zum Zweck, sondern es ermöglichte eine adäquate visuelle Umsetzung der bedrückenden Story mit ihren schmierigen Drehorten. Mendoza ließ die Tag- und Nachtszenen von zwei verschiedenen Kameramännern drehen, schnitt virtuos zwischen ihnen hin und her und schuf so einen der visuell ausgereiftesten philippinischen Digitalfilme. Dieser Methode ist Mendoza seither treu geblieben.

Seine Filme erzählen Geschichte aus dem Unterbauch der philippinischen Gesellschaft in Bildern, die visuell so degradiert sind wie ihre Protagonisten sozial deklassiert. Selbst wenn er wie bei „Serbis“ (Service, 2008) oder in Teilen von „Kinatay“ 35-Millimeter-Film einsetzt, sehen die Filme, bei denen er zum Teil selbst die Kamera führt, oft so aus, als seien sie mit einer Handycam gedreht worden. Die Geschichten spielen in klar begrenzten Räumen und über kurze Zeitperioden. In „Serbis“ ist es ein Tag in einem Schwulenkino, das auch als Bordell dient; Tirador“ (Steinschleuder, 2006) handelt von einer Woche unter Kleinkriminellen im Armenstadtteil Quiapo in Manila.

Diese räumlichen wie zeitlichen Beschränkungen sind Teil einer Ästhetik, die der Drehbuchschreiber Armando „Bing“ Lao ins philippinische Gegenwartskino eingeführt hat. „Ein billiger Film beginnt mit einer billigen Geschichte“, glaubt er.

Lao wird nur bei „Serbis“ und „Kinatay“ offiziell als Drehbuchautor genannt – „vorher war er einfach zu teuer für uns“, witzelt Mendoza, denn auch Lao hat in der philippinischen Filmindustrie mit Mainstream-Filmen viel Geld verdient, bevor er ins Independent-Fach wechselte.

Trotzdem war er bei allen wichtigen Arbeiten Mendozas (und bei einer Reihe von anderen wichtigen philippinischen Independent-Filmen wie Jeffrey Jeturians „Kubrador“) als „Script Advisor“ im Einsatz. Er ist die intellektuelle graue Eminenz im philippinischen Gegenwartsfilm. Wenn er über sein ästhetisches Projekt spricht, benutzt er immer wieder zwei Termini, die er sich aus der bildenden Kunst ausgeliehen hat: „Materialästhetik“ und „Found Object“ – die Drehorte seien „gefundene Objekte“, die seinen Drehbüchern Struktur und Charakter geben. Bei den Büchern, die er schreibt, steht die Materialität der locations im Mittelpunkt: „Eine Geschichte passiert nicht in einem Vakuum. Sie passiert in einem sehr spezifischen Raum, und der hat einen ganz besonderen Einfluss auf die Protagonisten. Der Ort beeinflusst die Leute mehr als die Leute den Ort. Unsere Filme sind nicht psychologisch, sie sind soziologisch, und sie handeln eigentlich mehr von dem Ort als von den Leuten.“

Das predigt er auch seinen Studenten an der University of the Philippines, wo die nächste Generation von Independent-Filmern mit dieser spezifisch philippinischen neorealistischen Doktrin heranwächst.

■ Werkschau Brillante Mendoza: ab 6. 2. im Arsenal-Kino, Programm unter www.arsenal-berlin.de

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