: Pink stinkt
FARBENSPIELE Sosehr sich die Eltern wehren: Mädchen stehen auf Rosa. Warum eigentlich?
FARBFORSCHER UND WERBER HARALD BRAEM SPIELZEUGVERKÄUFER JÖRG FESSEL
VON JOHANNES GERNERT
Jetzt gibt es sogar einen PC in Pink. Modell Cinderella, etwas teurer als die gewöhnlichen silbernen und schwarzen Computertürme. Trotzdem verkauft er sich sehr ordentlich, sagt Jörg Fessel, der ihn mit seiner Firma übers Internet vertreibt. Zielgruppe: weiblich und jung. „Für Prinzessinnen“, sagt Fessel.
Mädchen mögen Pink. Fessel weiß das von seiner Tochter. Die ist 17 Jahre alt und fast ihr ganzes Zimmer sei rosa. Und sie ist da überhaupt keine Ausnahme. Die südkoreanische Künstlerin Jeong Mee Yoon zeigt es seit fünf Jahren in einem Projekt namens „Pink und Blau“. Das sind die Kinderzimmerfarben. Blau für Jungs. Pink für Mädchen. Yoon lässt die jungen Bewohner ihre Sachen ausbreiten. Puppen, Kleider, Plüschtiere strahlen bei den Mädchen in hellem Rosa, bei den Jungs in Blau. Egal ob die Künstlerin in Asien oder Amerika fotografiert hat. Die Bilder sehen farblich alle gleich aus.
Den britischen Zwillingen Emma und Abi Moore fiel es auch irgendwann auf. Die eine ist seit ein paar Jahren Mutter von zwei Töchtern, die andere von zwei Söhnen. Bei den einen wurde zu Hause alles immer blauer, bei den anderen immer pinker. Das kann doch nicht sein, dachten die Moores und starteten eine Kampagne: Pink stinks. Also: Pink stinkt, oder: Rosa riecht ranzig. Die Mädchenwelt so einfältig einfarbig einzutünchen lege schon die allerjüngsten Frauen auf eine Weichspüler-Prinzessinnen-Rolle fest, beklagten die Zwillinge. Aber erst als sie vor einigen Wochen zum Boykott eines Spielwaren-Händlers namens Early Learning Center aufriefen, weil der die Pinkfärbung der Mädchenwelt unterstütze, wurde die Welt auf die beiden Moores aufmerksam. Der Boykott trat eine regelrechte Medienlawine los. In 40 Ländern sei seitdem über sie berichtet worden, heißt es auf ihrer Homepage pinkstinks.co.uk. „Sogar im britischen Oberhaus haben sie uns erwähnt!“
Die Aktivistinnen kritisieren die Barbiewelt der Kinderzimmer, die sich wegen des Profitinteresses der Spielwarenkonzerne und Kleiderhersteller immer pinker verfärbe. Teenie-Idole wie Paris Hilton lassen sich vor pinken Sportwagen fotografieren und verstärken die Farbideologie so noch weiter. Man lasse den Mädchen keine Alternative, meinen die Moores.
Das Seltsame daran ist nur: Die Mädchen scheinen gar keine Alternative zu wollen. Natürlich liegt das auch an dem Überangebot der Prinzessinnen-Warenwelt. Selbst unter jüngsten Kindern allerdings, die Farben wohl noch gar nicht allzu lang voneinander unterscheiden können, greifen die Jungs eher zu Blau. Und die Mädchen wählen Rosa. „Ich denke, das liegt in den Genen“, sagt Jörg Fessel, der Cinderella-Computer-Verkäufer.
Farbe der Bürgermädchen
Harald Braem, Werbemann und Farbforscher, hat eine andere Erklärung. Bis zur Aufklärung habe es in Mitteleuropa für Kinder nur eine Farbe gegeben: Blau. Die habe man für Jungs verwendet. Erst als sich das Bürgertum bildete, sei der Wunsch entstanden, ein Pendant für die Mädchen zu schaffen. Man wählte ein zartes Rosa. „Psychologisch steht die Farbe für Schutz“, sagt Braem. „Sie weckt den Beschützerinstinkt und sorgt für eine Beißhemmung.“ Das ist es auch, was die britischen Anti-Pink-Aktivistinnen so wurmt. Man verniedlicht die Mädchen, indem man sie in rosa Watte packt, und macht sie zu Schwächlingen. Braem hält die Rosa-Vorliebe nicht für anerzogen. „Manche Eltern kämpfen heftig dagegen an, aber sie sind machtlos. Es scheinen doch Archetypen zu sein.“
Auch sein Institut für Farbpsychologie hat einmal eine Untersuchung mit Bällen gemacht. Die Mädchen griffen schneller zu den pinken. Braem ist eigentlich ein Experte für Lila. Er hat der Milka-Kuh als Werber ihre Farbe verpasst. Die Marketing-Leute würden das Pink-Bedürfnis natürlich heftig ausschlachten, sagt er.
Wissenschaftler der Universität Newcastle haben vor drei Jahren die Farbpräferenzen von Frauen und Männern verglichen. Bei den weiblichen Probandinnen waren die bevorzugten Töne Rot und Lila. Die Forscher sehen eine mögliche Ursache in der Evolution. Zurzeit der Jäger und Sammler hätten Frauen Beeren gesammelt. Die sind meist rot.
Die US-Professorin Jo Paoletti wird in diesem Jahr ihre Studie „Pink and Blue: Telling the Boys from the Girls in America“ veröffentlichen. Sie nimmt eine interessante historische Wende wahr: Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts habe Pink in den USA als Jungsfarbe gegolten. Das macht ein Bericht des Time Magazines von 1927 klar: Darin wird festgestellt, dass die belgische Prinzession Astrid wohl enttäuscht sein müsse nach der Geburt einer Tochter. Die Wiege sei in Erwartung eines männlichen Erben rosa dekoriert worden, „in der Jungenfarbe“. Das Ladies’ Home Journal ging sogar so weit, Rosa als die „entschlossenere und stärkere“ Farbe zu bezeichnen – insofern perfekt für Knaben.
Feminismus etabliert Pink
Die Bedeutung kann sich kulturell also durchaus ändern. Jo Paoletti wiederum macht ausgerechnet die Feministinnen der Siebzigerjahre dafür verantwortlich, dass sich Pink mittlerweile so nachhaltig als Mädchenfarbe etabliert hat. Die hätten derart entschieden dagegen angewettert, dass auch der Letzte die Zuordnung verinnerlichte. Das sei doch eine hübsche Ironie der Geschichte, amüsiert sich Paoletti.
Den politischen Aufstieg, das zeigt der Fall der neuen Familienministerin Kristina Köhler, muss einem die Vorliebe für Rosa-Töne nicht verbauen. „Kristina hat fast immer Pink getragen“, erinnerte sich eine Schulfreundin kurz nach deren Amtseinführung. Vorher hatte sich Köhler mit ihrer Vorgängerin fotografieren lassen. Beide grinsten. Eine trug ein knallig-pinkes Oberteil. Diesmal war es Ursula von der Leyen.
Starke Auftritte scheinen also auch in Rosa möglich. Im Allgemeinen sei Pink aber karriereschädigend, versicherte die Münchner Geschlechterforscherin Imke Schmincke der Süddeutschen Zeitung. „Eine Prinzessin kann schließlich keine Karriere machen.“ Die „Pink stinks“-Kampagne der britischen Moore-Zwillinge setzt ihrer Ansicht nach trotzdem den falschen Schwerpunkt. Man solle doch lieber fordern: „Rosa auch für Jungs!“
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