: Country-Keks mit Cerealien
Die Mülheimer Vocaltage 2006 haben einen nordamerikanischen Cowboy-Schwerpunkt: Country-Musik von Cash bis Bosshoss. Dazu die Cowgirls Irmgard Knef, Meret Becker und Georgette Dee
VON PETER ORTMANN
Lässig werfen die Besucher ihre Schlüsselanhänger über die eingerammten Holzbalken vor dem ehemaligen Ringlokschuppen in Mülheim. Die Pferdestärken auf dem Parkplatz schnauben noch. In der Halle hört man schon leise Banjo, Bass und Fidel. Country-Musik ist Schwerpunkt bei den Mülheimer Vocaltagen 2006. Die Nähe zur Eisenbahn ist vorprogrammiert, sie zieht sich durch die Historie der nordamerikanischen Cowboy-Volksmusik, deren Anfänge fast genau ein Jahrhundert zurückliegen.
Damals begann der kleine Jimmie Rodgers, Sohn eines Eisenbahners, am Mississippi Gitarre zu spielen und dazu zu singen und zu jodeln. Zwanzig Jahre später verkaufte er seinen ersten Top-Hit „Blue Yodel No.1“ über eine Million mal. Noch heute zitieren weltweit Country-Stars und -Sternchen den Vater dieses Genres. Rodgers, der bereits mit 36 Jahren an Tuberkulose starb und dessen Karriere eigentlich nur sechs Jahre dauerte, führte auch als erster die Hawaii-Gitarre ins Country ein. Im Ringlokschuppen erinnert heute der Ruhrgebiets-Musiker Roland Heinrich (Jahrgang 1969) an den jodelnden Lokomotiv-Bremser vom Mississippi. Der Bassist nähert sich mit seiner Band „Rumtreibern“, alles bekannte Musiker aus der deutschen und niederländischen Folk- und Country-Szene, dem Phänomen Jimmie Rodgers aus der Sicht eines amerikanisierten Europäers. Das Programm „Einsam und ausgebremst“ ist eine Sammlung von Rodgers-Songs, die trotz der typischen Westernmotive auch einen Bezug zum Zeitgeist haben und von Heinrich alle ins Deutsche übertragen wurden.
„Country hat etwas mit der Region zu tun“, sagt Claudia Saerbeck, die die Reihe kuratiert hat. Zwar zeige das Programm mehr Kultur aus ländlichen Gegenden und im Ruhrgebiet sehe man sich lieber als Metropole. Doch die ehemaligen Industriegebiete erzählen auch noch andere Geschichten. Beispiel: Hiss. Die deutsche Kapelle ist gerade von ihren ausgedehnten Reisen zurückgekehrt. Sie klingen nun nach den rauen Tundren Finnlands, nach der Dürre des nordmexikanischen Sommers, dem Liebreiz Transsylvaniens und der Schwüle in den Sümpfen Louisianas. „Die passen super ins Ruhrgebiet“ sagt Saerbeck. Doch eigentlich sei der 2003 verstorbene Johnny Cash die Initialzündung gewesen. Der Film über sein Leben komme gerade in die Kinos. Passend dazu verpflichtete man den Musiker Peter Lohmeyer mit seinem Trio „Hotel Rex“. Sie kreierten einen minimal instrumentierten Abend mit Lesung über den bekanntesten Country-Sänger aller Zeiten.
Lange verhandeln musste die Kuratorin mit der Headline der Reihe: The Bosshoss. Die sorgen gerade für eine Rückkehr der Countrymusik in die aktuellen Charts. Mit Cowboy-Versionen von Hits wie „Hey Ya“ (Outkast), „Sabotage“ (Beastie Boys) und „Without Me“ (Eminem). Da bleibt von Lagerfeuerromantik nichts übrig – eben auch keine Auftrittstermine. Aber im März kommen sie in den natürlich unbestuhlten Ringlokschuppen.
Fast zeitgleich mit Meret Becker. Cerealien hat der Countrykeks nämlich auch. Zum ersten Mal erst geht die wilde Becker mit Ars Vitalis auf Tour, obwohl man sich bereits seit 13 Jahren kennt und fast jährlich irgendwo zusammen gearbeitet hat. Zu den Halmfrüchten der Göttin Ceres gehört auch Hermann van Veen. Als Schlitzohr, Clown und frecher Harlekin zaubert er seine typische Mischung aus Weisheit, Witz und Ernsthaftigkeit aus seinem Hut.
20:00 Uhr, RinglokschuppenRoland Heinrich & Die HerumtreiberInfos: 0208-993160
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