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Das Böse lauert nebenan

Im Dunkeln unter der Drehbühne des Dortmunder Schauspielhauses. Matthias Heße inszeniert als deutsche Erstaufführung „Kosmetik des Bösen“ von der belgischen Star-Autorin Amélie Nothomb

AUS DORTMUND PETER ORTMANN

Manchmal spielt ein Theaterstück in der Hölle: Zwei Treppen nach unten, vorbei am Intendanten, an Zigarettenkippen und Plätzchenresten, hinein ins schwarze muffige Loch, wo heute das Böse wohnen soll, geschminkt, verborgen, lauernd. Theater kann ein Abenteuer sein, mitten in der Nacht auf der Unterbühne des Dortmunder Schauspielhauses wird es ein Genuss – mit Frikandel Spezial und einem sabbelden Holländer.

Drei junge Schauspieler kratzen dort dem Teufel Mensch die Schminke vom Gesicht, reden, vergewaltigen, lachen und leiden. Am Ende wird der Zuschauer tapsend die Oberfläche der Welt erreichen und frische Nachtluft atmen, doch der muffige Hauch des Bösen bleibt. Er ist immer da, jetzt wieder perfekt geschminkt und vielleicht saß er eben sogar nebenan im Theater.

Das Stück „Kosmetik des Bösen“ stammt von der belgischen Star-Autorin Amélie Nothomb, die als Tochter eines aristokratischen Diplomaten in Kobe (Japan) geboren wurde. Jedes Jahr veröffentlicht sie einen neuen Roman, der in Frankreich regelmäßig die Bestenlisten stürmt. Die endlosen Abgründe des Bösen werden immer wieder grotesk und bissig überflogen, eingebunden in scheinbar alltäglichen Szenerien: Zwei Männer schlummern in der Wartehalle eines Flughafens dem verspäteten Flieger entgegen. Ein merkwürdiges Gespräch entsteht, das der eine manisch führt und der andere zu verhindern sucht.

Immer intensiver wehrt sich der Geschäftsreisende Jérome Angust (Dominik Freiberger) gegen den aufdringlichen Holländer Textor Texel (Michael Kamp). Doch der scheinbare Psychopath lässt sich nicht stoppen. „Warum sollte ich zu einem Psychologen gehen“, fragt er, „wenn es auf Flughäfen nur so wimmelt von Leuten, die nichts anderes zu tun haben als mir zuzuhören?“ Noch kichern die Zuschauer, doch immer weiter verstrickt Nothomb böse die Vergangenheit der Beiden. Textor ist ein Vergewaltiger, der diesen Vorgang als größten Liebesbeweis betrachtet: „Ich war bereit, für diese Liebe das Gesetz zu übertreten“. Er rechtfertigt geschickt die Tat, hätte danach im selbst gewählten Zölibat gelebt, nur sie habe er haben wollen – schuldig fühlt Texel sich nicht. Dann kriecht langsam die Gewissheit auf die Bühne, dass das Opfer wohl Jéromes Ehefrau war, die er anschließend zehn Jahre lang in Paris suchte, fand und umbrachte. Immer weiter verknotet die Autorin die Figuren. Mit präziser Sprache verwirrt sie die Realität, der Täter wechselt die Seiten oder ist es ein und dieselbe Person. Wer ist wer, wenn die Kosmetik versagt?

Nothomb macht aus der Frage nach Schuld eine unlösbare Absurdität. Regisseur Matthias Heße daraus ein intensives Theatererlebnis. Den großen Monolog des Opfers Isabelle spricht Carolin Mader völlig abwesend und so wunderbar und quälend langsam, dass die Zuschauer in der Dunkelheit unter der Drehbühne auf ihren Sitzen zu rutschen beginnen. Dabei wird sie so intensiv von der Seite beleuchtet, dass ihr Profil zerstörerisch zerfließt. Allein diese endlosen Minuten sind ein Erlebnis und zeigen brutal, welche psychischen Auswirkungen die Tat auf die junge Frau hatte.

Ein schlüssiges Ende braucht das Stück nicht, denn der Hauch des Bösen bleibt, wo er ist – im Kopf des Zuschauers. Wer wissen will, warum der Mensch Theater braucht, der sollte einmal nachts in die Tiefen des Dortmunder Schauspielhauses steigen.

Nächste Chance: 28. Januar, 23:00 UhrKarten und Infos: 0231-5027222

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