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Wege aus Miseren

ZUM UMARMEN Vier japanische Filme im Forum erzählen vom Kampf entrechteter Arbeiter gegen ihre Bedrücker, von schüchternen Idioten, die an hellblauen Pullovern stricken, von Gewalt und unerfüllten Liebesgeschichten

Sie sagt, sie sei unterer Durchschnitt, und immer wieder: „Es ist eben so.“ Abends trinkt sie viel Dosenbier

VON DETLEF KUHLBRODT

Wie in jedem, so gibt es auch in diesem Jahr im Forumprogramm einige interessante japanische Filme: neben der vierfilmigen Minihommage an den Regisseur Shimazu Yasujiro (1897–1945) werden vier aktuelle Produktionen gezeigt: Auf „Kanikosen“ von Sabu war man sehr gespannt, hatte der Regisseur doch mit seinen teils absurden, tieftraurigen, unglaublich lustigen Filmen im Forumprogramm immer wieder für Begeisterung gesorgt.

„Kanikosen“ geht zurück auf den 1929 veröffentlichten gleichnamigen Roman von Kobayashi Takiji, der vom Kampf entrechteter Arbeiter gegen ihre Bedrücker auf einem als Fischfabrik dienenden Schiff erzählt. Das Buch gilt als ein Höhepunkt der proletarischen Literatur Japans und erlebte dort 2008 – sowohl im Original als auch in einer Mangaadaption – vor allem in der jungen Generation ein überraschendes Comeback.

Größtenteils spielt der Film in der Fischfabrik des Schiffes. Drangsaliert von dem fiesen Vorarbeiter Asakawa arbeiten die Männer unter furchtbarsten Bedingungen am Fließband und schlafen in seltsamen Röhren. Die Bilder sind großartig, erinnern ein wenig an „Metropolis“, ein bisschen an „Modern Times“, nur alles in Farbe mit indirektem Licht meist. Die einzige Möglichkeit, dem Schrecken zu entkommen, scheint der kollektive Selbstmord zu sein, den ein rebellischer Arbeiter propagiert. Nach dem Tod würden die Selbstmörder in einer reichen Familie wiedergeboren werden. In grandios kitschigen Traumsequenzen fantasieren die Arbeiter von ihrem postmortalem Leben. Der makabre Gruppensuizid misslingt. Später gelingt zwei Arbeitern die Flucht aus der fordistischen Arbeitshölle. Sie werden von einem sowjetischen Frachter aufgelesen. Fröhliche sozialistische Arbeiter zeigen ihnen den Weg aus ihrer Misere und erklären ihnen die wissenschaftliche Weltanschauung. Zurückgekehrt aufs Sklavenschiff zetteln sie eine Revolution an. Passagenweise ist „Kanikosen“ großartig, einfallsreich inszeniert, insgesamt, vor allem aber in der Botschaft, die er meint zu vertreten, doch etwas enttäuschend, wobei der Film komischerweise aus der Distanz wieder gewinnt.

Rundum super, gelungen, frisch und toll ist dagegen „Sawako Decides“. Der Film des 26-jährigen Ishii Yuya erzählt von der jungen Sawako, die seit fünf Jahren in Tokio entschlossen fatalistisch vor sich hin lebt. Sie wird von allen rumgeschubst, findet das aber eigentlich auch nicht weiter schlimm. Sie sagt, sie sei unterer Durchschnitt, und immer wieder: „Es ist eben so.“ Abends trinkt sie viel Dosenbier und guckt fern.

Ihr Freund ist ein schüchterner Idiot mit kleiner Tochter und strickt an einem hellblauen Pullover, weil er sich entschossen hat, einen ökologischen Lifestyle zu führen. Das Leben ändert sich, als ihr Vater schwer erkrankt und sie dessen Muschelverarbeitungsbetrieb in der Provinz übernehmen soll. Mit ihrem Freund und dessen Tochter geht sie zurück in die Provinz. Weil sie mit 18 mit dem Kapitän der Footballmannschaft aus ihrem Heimatort floh, wird sie von den burschikosen Mitarbeiterinnen verachtet. Eine spannt ihr ihren Mann aus, der dann mitgeht wie ein Schaf. Nur ganz allmählich wenden sich die Dinge. Sawako erfindet zum Beispiel eine neue Betriebshymne, in der es heißt: „We’re all ordinary people/ we’re all foxy ladies/ und „down with the government!“

„Sawako Decides“ ist ein Film, den man gerne und sofort umarmen möchte, besticht durch einen wunderbaren, komischen, sozusagen humanistischen Fatalismus, ist auch glaubwürdig, wenn es um den Tod geht. Die Hauptdarstellerin, Mitsushima Hikari, ist wunderbar!

„A Crowd of Three“ vom Omori Tatsushi ist ein sozusagen existenzialistisches Roadmovie. Der teils recht brutale Film erzählt von den beiden Waisenhaus-Freunden Kenta und Jun. Sie arbeiten in einer Abbruchkolonne und werden ständig von ihrem Chef schikaniert. Irgendwann rächen sie sich und fahren zusammen mit einem naiven Mädchen namens Kayo nach Hokkaido, wo Kentas Bruder eine langjährige Haftstrafe verbüßt. Die Helden geben die Misshandlungen, die sie erfahren haben, weiter. Oft werden klassische Break-on-thru-to-the-other-side-Situationen variiert, wenn man mit dem Motorrad in Höchstgeschwindigkeit auf ein Auto zurast etc.

„Kyoto Story“ von Yamada Yoji und Abe Tsutomu ist das relaxte, stilsichere, wehmütig-schöne Werk eines Altmeisters. Erzählt wird die unerfüllte Liebesgeschichte zwischen einem Universitätslehrer, der auf uralte chinesische Schriftzeichen spezialisiert ist, und einer Bibliotheksmitarbeiterin, die mit einem nicht so erfolgreichen Komödianten liiert ist. Die Geschichte spielt in Uzumasa, einem der ältesten Stadtviertel Kyotos, in dem sich die berühmten Filmstudios befinden, in denen etwa Kurosawas „Rashomon“ entstand. Die Liebesgeschichte ist mit Dokumentarfilmsequenzen verbunden, in denen Geschäftsinhaber vom Leben in diesem Viertel erzählen. Mit dem jüngsten Film „Otoko“ des 79-jährigen Yamada Yoji wird die diesjährige Berlinale zu Ende gehen.

■„Kanikosen“, heute, 12. 2., 19.15 Uhr, CineStar 8; Sa., 13. 2., 20 Uhr, Colosseum 1; So., 14. 2., Cubix 9; Mo., 15. 2., 16 Uhr, Delphi; „Sawako Decides“, heute, 12. 2., 18.45, Delphi Filmpalast; Mo., 15. 2., 20 Uhr, Colosseum 1; Di., 16. 2., 16.15 Uhr, CineStar 8; Mi., 17. 2., 22.30 Uhr, Cubix 9; „A Crowd of Three“, Sa., 13. 2., 21.30 Uhr, Delphi; So., 14. 2., 13.15 Uhr, CineStar 8; Mo., 15. 2., 22.30 Uhr, Cubix 9; Di., 16. 2., 17.30 Uhr, Arsenal 1; „Kyoto Story“, Fr., 19. 2., 20 Uhr, Cubix 9; Sa., 20. 2., 11 Uhr, CineStar 8

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