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Verlorene Söhne

Ein Spielfilm und kein Dokudrama: Steven Spielbergs umstrittener Film „München“

von SVEN VON REDEN

Die Kontroverse war unvermeidlich. Jeder Film über das Geheimkommando, das die Drahtzieher hinter dem Münchner Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft eliminieren sollte, wäre aus den Feuilletons auf die Meinungsseiten der Politikteile gerutscht. Zumindest, wenn der Regisseur Steven Spielberg heißt und der erfolgreichste Filmemacher aller Zeiten ist. Die Diskussion sagt allerdings mehr über den Nahostkonflikt aus als über den Film. Denn: Unkontroverser könnte „München“ kaum sein. Jedenfalls wenn man ihn nicht als Dokudrama wertet, sondern ernst nimmt, dass er „angeregt“ wurde von wahren Begebenheiten, wie es im amerikanischen Vorspann heißt.

Auch wenn sich Spielberg erstmals in einem seiner großen historischen Epen an einen Konflikt wagt, in dem Schwarz und Weiß schwer zu trennen sind, versucht er, im Fahrwasser des Common Sense zu bleiben. Die Moral seiner Geschichte: 1. Jeder Mensch hat ein Recht auf eine sichere Heimat für sich und seine Familie. 2. Reden ist besser als Schießen. Wer stimmte da nicht spontan zu?

Mit Politik hat das wenig zu tun. Der Filmkritiker James Hoberman bringt es in der New Yorker Village Voice auf den Punkt: „München“ sei „die Herzensangelegenheit eines Filmemachers. Stärker als auf Politik, ist der Film auf das Vertrauen in die erlösende Kraft der Hollywood-Unterhaltung gegründet und auf Spielbergs andauerndes Streben, alles für alle Menschen zu sein – nicht nur ein Macher, sondern auch ein Mensch“ (die kursiven Wörter sind im Original auf Deutsch).

Seit Mitte der Achtzigerjahre versucht der Macher Spielberg, mehr zu sein als das erfolgreichste Wunderkind der Filmgeschichte. Sklaverei, Holocaust, Zweiter Weltkrieg – kein historisches Großthema, aus dem man eine einfache Moralfabel stricken könnte, war sicher vor ihm. Im neuen Jahrtausend wagt er sich allerdings an zwielichtigere Geschichten und herausfordernde Themen, das bewies er zuletzt mit seinen Science-Fiction-Filmen „A.I.“ und „Minority Report“.

„München“ ist näher an diesen Filmen, als es zunächst den Anschein hat. Hinter der zeitgeschichtlichen Fassade verbirgt sich ein Genrefilm. Schon der Protagonist Avner (Eric Bana) wird wie ein klassischer Thriller-Held eingeführt: als ein Jedermann, der unvermittelt einer lebensgefährlichen Aufgabe gegenübersteht. Diese Aufgabe bringt Dinge in ihm zum Vorschein, die ihm selbst vorher nicht bekannt waren. Eben noch versicherte er seiner schwangeren Frau, dass sein Job beim israelischen Geheimdienst harmlos sei, da erhält er die Aufgabe, die „Operation Zorn Gottes“ zu leiten, die nach den Morden von München den Feinden Israels die Wehrhaftigkeit des Staates vorführen soll.

Avner bekommt eine bunt gemischte Gruppe Mossadmitarbeiter zugeteilt, die auch aus Steven Soderberghs „Ocean’s 11“ oder einem anderen Caper Movie stammen könnten – also aus einem Film, in dem eine Gangstertruppe einen Coup austüftelt und ausführt. Da ist zum einen der Spielzeugmacher und Sprengstoffexperte Robert, der Antiquitätenhändler und Fälscher Hans, der skrupellose Fluchtwagenfahrer Steve und der zweifelnde Spurenbeseitiger Carl. Ganz den Genreregeln folgend, braucht Avner als Kopf der „Bande“ und Identifikationsfigur keine besondere Eigenschaft für den Job. Dass er gerne koscher kocht, charakterisiert ihn als heimatverbundenen Familienmenschen. Seine Aufgabe lässt ihn allerdings jahrelang durch Europa irren, so dass ihm nur sehnsüchtige Blicke in die Auslagen von Küchengeschäften bleiben.

Avner sehnt sich nach Heimat und Familie wie alle von Spielbergs verlassenen Söhne. Er steht in einer Reihe mit dem vaterlosen Elliott aus „E.T.“, dem verlassenen Roboterjungen David aus „A.I.“ und dem Scheidungskind Frank aus „Catch Me If You Can“. Avners Vater fiel im Krieg und wurde zum Nationalhelden, seine Mutter steckte ihn in einen Kibbuz, so dass Israel zu seiner Mutter wurde, wie es einmal im Film heißt. Aus dieser Verpflichtung heraus wird er zum Killer für sein Land.

Aber nicht nur in der Figurenkonstellation und -motivation entpuppt sich „München“ als Mischung aus Genrekino und typisch Spielberg’schen Motiven. Die Art, wie der Kameramann Janusz Kaminski Zoom und Teleobjektiv einsetzt, erinnert an 70er-Jahre-Thriller und Actionfilme. Offenbar wollte Spielberg den Stil seines Filmes der Zeit der Handlung anpassen. Wo er allerdings klar ausschert, ist bei der Darstellung der Gewalt. Wie zuletzt in „Saving Private Ryan“ zeigt er drastisch die Auswirkungen von Bomben- und Schusswaffengebrauch: Hirn spritzt, ein Arm dreht sich an einem Ventilator, und man kann die Folgen eines Munddurchschusses anatomisch genau begutachten.

Aber das macht „München“ noch nicht zu Spielbergs härtestem und illusionslosestem Film, als den ihn viele amerikanische Kritiker sehen. Der Eindruck entsteht eher dadurch, dass Avner von allen verlorenen Söhnen Spielbergs als Einziger zum Täter wird und ihm damit ein wirkliches Happy End verwehrt bleibt. Der letzte Auftritt, den er in „München“ bekommt, ist ebenso bizarr wie verwirrend. Avner schläft mit seiner Frau, parallel dazu wird in Rückblenden auf das blutige Ende der Geiselnahme in München geschnitten, als ob diese Szenen gerade durch seinen Kopf gingen. Die Gewaltbilder werden Avner sein Leben lang bis in die privatesten Momente verfolgen, will Spielberg offenbar zeigen. Aber die Sequenz hat einen perversen Beigeschmack: Die Tatsache, dass Avner trotz der Erinnerungen an ein Massaker offenbar Lust auf Sex verspürt, wirft ein seltsames Licht auf diesen „Helden“.

Danach zeigt Spielberg, als letztes Bild, die Skyline New Yorks, dominiert vom World Trade Center. Es ist ein Wink mit zwei Zaunpfählen – als ob bei einem Film über Terror und Gegenterror im israelisch-palästinensischen Konflikt nicht automatisch die Parallelen in die Gegenwart gezogen würden. Was es allerdings zu bedeuten hat, dass Spielberg ausgerechnet nach einer Sexszene, die Gewaltfantasien, Schmerz und Lust verknüpft, das World Trade Center zeigt – von Klaus Theweleit in der taz einmal treffend als „Doppelphallus“ bezeichnet –, darüber würde eine Kontroverse unter Psychoanalytikern lohnen.

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