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Das Typische und das Besondere

AUSSTELLUNG Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln sieht viele Gemeinsamkeiten im Werk des Malers Wilhelm Leibl und dem des Fotografen August Sander. Eher unbeabsichtigt gerät „Von Mensch zu Mensch“ zu einem aufschlussreichen intermedialen Vergleich von Malerei und Fotografie

VON DAMIAN ZIMMERMANN

Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten treten die Unterschiede oft besonders stark hervor. Diese Erfahrung kann man derzeit im Kölner Wallraf-Richartz-Museum machen, das in der essayistischen Ausstellung „Von Mensch zu Mensch“ die Malerei von Wilhelm Leibl und die Fotografien von August Sander direkt gegenüberstellt.

Tatsächlich haben diese beiden Meister ihres Faches erstaunlich viele Parallelen und Schnittpunkte in ihrer Beschäftigung mit dem Thema „Mensch“. Um dies deutlich zu machen, ist die Ausstellung von Kurator Roland Krischel in neun kleine Kapitel wie „Söhne und Väter“, „Künstlerköpfe“, „Posieren“ und „Archetypen“ unterteilt.

Diese Sortierung wirkt anfangs etwas plakativ und vielleicht sogar unakademisch, aber vielleicht liegt gerade darin die Stärke: Krischel führt mal Offensichtliches, mal Belangloses zusammen, über das man sonst gerne hinwegsieht, so dass am Ende die große Anzahl der Gemeinsamkeiten hervorsticht –und man sich deshalb fast lieber auf die Unterschiede konzentrieren möchte. Das führt dann allerdings dazu, dass der Betrachter am Ende nicht unbedingt Leibl und Sander, sondern die Malerei und die Fotografie per se miteinander vergleicht, sie gegeneinander antreten lässt. Das klingt unzulässig und erinnert ein wenig an Äpfel und Birnen. Aber es ist nun einmal Fakt, dass die Fotografie ohnehin ständig Vergleichen mit der Malerei ausgesetzt ist. Insofern liefert die Kölner Ausstellung in diesem „Duell“ eine Art Waffengleichheit.

Evident ist zunächst das Interesse beider für das Porträt, für Archetypen und dabei speziell für das einfache Volk, die Bauern. August Sander legte dazu seine „Stammmappe“ mit Porträts der Westerwälder Bauernschaft und des alten Menschen an, die er für besonders naturgebunden hielt. Leibl malte ernste, fromme Alte mit dem Rosenkranz in den Händen oder dem geöffneten Gebetbuch auf dem Tisch. Teilweise gleichen sich Motive und Komposition so stark, dass man meint, die beiden wären zur gleichen Zeit am gleichen Ort gewesen und hätten sich zudem Atelier und Modelle geteilt.

Haben sie aber nicht. August Leibl verließ seine Heimat Köln 1864 in Richtung München, da war Sander noch gar nicht geboren, und er starb 1900 in Würzburg. Sander hingegen ließ sich erst 1910, da war er 34 Jahre alt, in Köln nieder, wo seine Karriere schließlich richtig Fahrt aufnahm. Dennoch kannte Sander natürlich Leibls Arbeiten. Was aber vielleicht noch wichtiger ist: Beide interessierten sich auch für das andere Medium. Leibl war von der Fotografie fasziniert, nutzte sie als Vorlage für eigene Gemälde und verzweifelte zugleich an ihrer Genauigkeit, hatte er doch zeit seines Lebens mit Unstimmigkeiten bei Perspektive und Proportionen zu kämpfen. Sander hingegen wollte ursprünglich Maler werden, kam aber offensichtlich als Assistent eines Bergwerksfotografen auf den Geschmack: „Die Photographie hat uns neue Möglichkeiten und andere Aufgaben als die Malerei gegeben. Sie kann die Dinge in grandioser Schönheit, aber auch in grauenhafter Wahrheit wiedergeben, kann aber auch unerhört betrügen.“

Genau diese Unterschiede werden in der Ausstellung sichtbar. Fast selbstverständlich verfällt der Betrachter zunächst der Schönheit, der Wärme und – um es mit Walter Benjamin zu sagen – der Aura von Leibls Ölporträts. In einer Zeit der Bilderflut, die ja eigentlich eine Flut an Fotografien ist, nimmt das gemalte Bild heute erneut eine herausragende Stellung ein. Wie grob, profan und fast schon obszön ehrlich wirkt daneben doch die Fotografie. Und wie banal!

Doch Moment. Ist es nicht umgekehrt die Malerei, die einen verklärten, romantisierenden Blick auf die Welt einnimmt – zumal Leibl ja als Vertreter des Realismus eigentlich genau dies vermeiden wollte. Man kann sich seine Qualen vorstellen, als er von einem seelenlosen Apparat in seiner Fähigkeit zur naturalistischen Genauigkeit überholt wurde – und dazu auch noch in einem Bruchteil der Arbeitszeit.

Man muss nur Leibls „Bauernjägers Einkehr“ und Sanders „Bauernpaar am Spinnrad“ miteinander vergleichen. Ja, es ist ein stimmungsvolles Bild, was Leibl da geschaffen hat. Und ein Zeugnis jener Epoche und jener Menschen. Aber was ist es schon gegen die Fotografie des Weißbärtigen, dem das zugeknöpfte Jackett über der Brust spannt und dessen Blick uns direkt ins Herz trifft? Dieser Mensch hat wirklich gelebt!

In der Malerei Leibls kann man sich da nicht immer so sicher sein. Zu oft glaubt man in seinen Figuren bloß Stellvertreter für andere zu sehen, aber keine Individuen. Das Paradoxe: Genau dies wollte ja Sander mit seinen „Menschen des 20. Jahrhunderts“ erreichen: dass der Konditor für alle Konditoren und der Handlanger für alle Handlanger steht. Vielleicht wäre es ihm mit Pinsel und Leinwand besser gelungen. Wir können von Glück reden, dass er das nicht gemacht hat.

■ Bis 11. August, Wallraf-Richartz-Museum, Köln, Katalog (Hirmer Verlag) 22 Euro

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