: Eine Pflegerin für 15 Bewohner
ALTER Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff soll kommen, versichert Gesundheitsminister Bahr – aber erst nach der Wahl. SPD-Sozialexpertin fordert: „Mehr Geld ins System“
PFLEGEEXPERTE CLAUS FUSSEK
BERLIN taz | Größere Reformen in der Pflege wurden von der Bundesregierung auf die lange Bank geschoben. Jetzt erklärte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), dass ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff mit verbesserten Leistungen kommen soll – nach der Wahl.
„Die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs bedarf sorgfältiger Vorarbeiten“, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. „Selbst die Kassen haben Umsetzungsprobleme eingeräumt.“ Sobald der Bericht des eingesetzten Pflegebeirats da sei, gehe es in die gesetzliche Umsetzung, wenn auch nicht mehr in dieser Legislaturperiode.
Der Vorstand des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Gernot Kiefer, hatte Bahr im taz-Interview vorgeworfen, dieser habe versäumt, eine „politische Grundsatzentscheidung“ zu treffen, „dass erstens der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff kommt und dass zweitens der finanzielle Gesamtrahmen klar sein muss“, erklärte Kiefer.
Klaus Wingenfeld, Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft und Mitentwickler der Konzepte für einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, gab allerdings zu bedenken, dass noch geklärt werden müsse, wie die bisherigen Sonderleistungen für Menschen mit demenziellen Einschränkungen in ein neues System integriert werden könnten. Bisher bekommen demenziell Erkrankte sogenannte Betreuungspauschalen zusätzlich zu den sonstigen Leistungen der Pflegeversicherung.
Wingenfeld erklärte, die Personalsituation in den Heimen sei vielerorts angespannt. Da gebe es „Nachholbedarf“. Der Anteil der demenziell Erkrankten sei hoch, heute lebten in Pflegeheimen etwa zu zwei Drittel Menschen mit erheblichen kognitiven Beeinträchtigungen.
Laut der Personalschlüssel, die von Bundesland zu Bundesland leicht variieren, stehen etwa in Berlin für fünf Menschen der Pflegestufe II zwei Vollzeitkräfte zur Verfügung. Das klingt zwar gar nicht so schlecht, durch die Abdeckung von Früh-, Spät- und Nachtschichten an sieben Tagen sowie Urlaubs- und Krankheitszeiten entstehen damit jedoch Schichtbesetzungen, wo am Wochenende auch tagsüber zeitweise nur eine Kraft auf 15 Pflegebedürftige kommt.
„Das wird dann schwierig mit Dementen, die stellen die kuriosesten Sachen an“, sagt ein Altenpfleger, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Ein Bewohner, der mit Exkrementen spielt oder Essen ins Bett kippt, kostet eben viel Zeit.
Nach der bisherigen Einteilung in Pflegestufen werden Pflegebedürftige nach ihrem unmittelbaren Hilfebedarf, etwa bei der Körperpflege, eingestuft. Bei Dementen ist es aber viel aufwendiger und dauert länger, ihnen beim Waschen zu assistieren, ihnen zu zeigen, wie man einen Waschlappen oder eine Zahnbürste benutzt, an- statt das als Pflegekraft gleich selbst zu machen. Auch die SPD fordert einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der unter anderem auch mehr Rücksicht auf die zunehmende Zahl der Dementen nimmt. Die Personalbesetzung in den Heimen müs- se verbessert werden, sagte SPD-Sozialexpertin Hilde Mattheis. „Es muss mehr Geld ins System.“
Mattheis spricht sich für eine Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags aus. Die SPD geht mittelfristig von 25 Prozent höheren Kosten für die Pflege aus.
Der Münchner Pflegeexperte Claus Fussek plädiert schon seit Jahren für eine bessere Personalausstattung. Doch viele Leute empörten sich zwar über die Zustände in Pflegeheimen, „aber sie wollen dann lieber doch keinen höheren Pflegeversicherungsbeitrag zahlen“.
H. HAARHOFF, B. DRIBBUSCH
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