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wg. KuschDer sich nicht an Gesetze hält

Justizsenator Roger Kusch begnügt sich längst nicht mehr damit, seine „Law-and-Order“-Politik auf Hamburg beschränkt umzusetzen, indem er etwa das Bezirksjugendgericht zerschlägt, die Staatsanwaltschaft bevormundet oder massiven Einfluss auf die Richterwahl ausübt und freie Richterstellen mit Gleichgesinnten zu besetzen sucht. Schon sieht er freudig der Erfüllung seines Wunsches entgegen, sich nicht mehr an geltende Gesetze halten zu müssen, sondern auf Länderebene „selbst über unser Strafvollzugsgesetz bestimmen“ zu können.

Gastkommentar von Johanna Dreger-Jensen

Mit seinem „Plädoyer für die Abschaffung des Jugendstrafrechts“ startet er einen erneuten Vorstoß, seine Vorstellungen von Strafverschärfung auch auf Bundesebene durchzusetzen. In diesem „Plädoyer“ weist Dr. Kusch zwar pauschal auf historische Wurzeln des Jugendstrafrechts hin, unterlässt allerdings den Hinweis auf die dem Gesetz zu Grunde liegenden, teilweise Jahrhunderte alten Erkenntnisse, dass junge Straftäter einerseits „geringer verantwortlich“ und andererseits „eher erzieherisch positiv beeinflussbar“ sind.

Schlicht kommt er zu dem Ergebnis, dass der Erziehungsgedanke weder für das materielle, noch für das formelle Strafrecht eine überzeugende Grundlage biete. Wie wahr! Aus diesem Grund wurde das Jugendstrafrecht 1923 institutionalisiert; es sollte gerade dem Zweck dienen, außerhalb des Erwachsenenstrafrechts der noch möglichen Erziehung Jugendlicher und Heranwachsender gerecht werden zu können und diese nicht nach vergleichsweise geringfügigen oder zukünftig vermeidbaren Verfehlungen durch das Raster gesellschaftlicher Konformität fallen zu lassen. Der 64. Deutsche Juristentag 2002 in Berlin bestätigte nach intensiver Diskussion mit 67:0:2 Stimmen, den Erziehungsgedanken als vorrangiges Ziel des Jugendstrafrechts.

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut; aber kann der Staat tatsächlich von seinen Bürgern mehr Achtung vor dem Gesetz verlangen als er selbst hat?

Die Autorin ist Rechtsanwältin und Vize-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e. V. in Hamburg

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