: Sozialwohnungen auf der Kippe
Die kommunale Wohnungswirtschaft schrumpft beständig. In den vergangenen 15 Jahren wurde fast jede zweite öffentliche Wohnung privatisiert. Jetzt wollen Sozialdemokraten die Notbremse ziehen
VON TINA VEIHELMANN
GeWoBag – „Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft“, Degewo – „Deutsche Gesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaus“. An manchem Haus in Berlin stehen die Schriftzüge mit den eigentümlich karitativ klingenden Übersetzungen. Es sind die Namen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Tatsächlich bringt man sie inzwischen kaum noch mit Wohltätigkeit in Verbindung, sondern mit Problemen, mit Schulden, mit Privatisierung. Man hat sich daran gewöhnt: Eine Wohnungsbaugesellschaft verkauft, ein paar tausend Wohnungen veräußert – irgendwie erscheint das zeitgemäß. Und doch ist gerade in den vergangenen Tagen eine Verunsicherung spürbar geworden. Nein, kein Aufschrei. Aber es reichte aus, dass einige Fraktionsmitglieder der SPD sich trotz der Parlamentsferien auf eine kühne Forderung verständigten: keine weiteren Verkäufe landeseigener Wohnungen, solange nicht die Solvenz eines Unternehmens auf dem Spiel steht. Und wenn man bei Wohnungsunternehmen, Finanzpolitikern, Senatoren anruft, hört man Sätze, in denen es um „Aufregung“ geht. Etwa, dass „die Aufregung“ unangebracht sei oder nachvollziehbar. Oder ein Missverständnis.
Entstanden ist die aktuelle Aufregung, weil die Wohnungsbaugesellschaft GeSoBau beschlossen hat, im Märkischen Viertel 2.385 Wohnungen zu verkaufen. Eine unternehmerische Entscheidung, wie Sprecher Matthias Gaenzer erläutert: Um einige Häuser zu sanieren, wolle das Unternehmen andere verkaufen. Mit dem „schleichenden Ausverkauf“ der landeseigenen Wohnungen, der zu Recht kritisiert werde, habe das gar nicht so viel zu tun.
Knapp 2.400 Wohnungen sind angesichts eines Gesamtbestands von noch 275.000 Einheiten im öffentlichen Bestand keine unerhört große Zahl. Dennoch scheint es, als sei damit eine gefühlte Grenze überschritten. Verständlicher wird das, wenn man bedenkt, dass erst zum Jahreswechsel die Degewo 3.858 Mietwohnungen veräußert hat, dass die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land plant, 1.800 Wohnungen zu verkaufen, und dass die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) angekündigt hat, 8.000 bis 10.000 Wohnungen abzustoßen, um ihr Unternehmen zu sanieren.
Es geht um nicht weniger als ums Ganze. Denn wenn all diese Stücke nach und nach aus dem Kuchen herausgeschnitten sind, wird das ursprüngliche Anliegen ad absurdum geführt: ein Segment des Wohnungsmarktes in der öffentlichen Hand zu halten, mit dem man Politik machen kann. „Wir sind im Begriff, eine kritische Masse zu unterschreiten“, sagt Bernd Schimmler, Mitglied der SPD-Fraktion und des Ausschusses Bauen und Wohnen. Er hat zusammen mit anderen den Vorstoß seiner Fraktion auf den Weg gebracht. Bei 15 Prozent aller Berliner Wohnungen, so lautete ein Beschluss der SPD-Fraktion vom März 2004, müsse der landeseigene Anteil mindestens liegen, um noch agieren zu können. Würden jetzt alle absehbaren Wohnungsverkäufe realisiert, lande man bei etwa 13 Prozent, rechnet Schimmler vor. Folgten weitere Verkäufe, rutsche man noch unter diese Zahl. Dem kommunalen Wohnungsbau droht also die Marginalisierung, bis hin zur Bedeutungslosigkeit.
Deshalb erfolgt der Vorstoß, politisch einzuschreiten, gerade jetzt. Verbunden ist diese Forderung, die auch die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt, mit einer konzeptionellen Frage. In den kommenden Tagen konstituiert sich eine Arbeitsgruppe, in der sich Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) und die Wohnungsbauexperten der Fraktionen darauf einigen sollen, was das Land mit seinen Wohnungsbaugesellschaften noch bewirken will.
Allerdings machen die beiden Senatsmitglieder keinen Hehl daraus, dass sie angesichts des zurzeit entspannten Wohnungsmarktes weder „die Aufregung“ verstehen noch gewillt sind, kurz vor Ende der Legislaturperiode irgendwelche „Pflöcke einzuhauen“, bindende Grenzen zu formulieren oder gar zu versprechen, dass das Land keine weitere Wohnungsbaugesellschaft verkauft. Von Senatsseite in die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmen eingreifen – so etwas riecht nach Planwirtschaft. „Das geht gar nicht“, sagt Junge-Reyers Sprecherin, „im Aufsichtsrat jedes Unternehmens sitzt nur ein Vertreter des Senats.“ – „Geht schon“, sagt Schimmler. „Ein Vorstandsvorsitzender eines landeseigenen Unternehmens, der dauerhaft gegen die Interessen des Senats verstößt, wird Probleme bekommen.“ Und um die SPD-Fraktion komme man politisch nicht herum.
Möglicherweise ist das Engagement der Sozialdemokraten als Retter der öffentlichen Wohnungsunternehmen nicht mehr als Flügelschlagen im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl. Denn die Probleme, vor denen die kommunale Wohnungswirtschaft steht, sind vertrackt und politischen Richtungsentscheidungen geschuldet, die schon vor Jahren getroffen wurden. Sie aufzulösen, käme einer Quadratur des Kreises gleich.
Die Idee, Wohnraum jenseits des freien Marktes zur Verfügung stellen, geht auf die Erfahrung zurück, dass dieser Markt in verschiedenen Situationen daran gescheitert war, den Bedarf an Wohnungen zu decken. Als große geschichtliche Ereignisse belegen das Wohnungselend des ausgehenden 19. Jahrhunderts und die Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg solch ein Marktversagen – zumal wenn es um menschenwürdige Wohnverhältnisse für ärmere Bevölkerungsschichten ging. Es war deshalb von jeher eine politische Entscheidung, einen Teil des Wohnungsangebots in öffentlicher Hand zu halten, um lenkend eingreifen zu können. Der öffentliche Auftrag der kommunalen Wohnungswirtschaft, „breite Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen“, wurde daher im Zweiten Wohnungsbaugesetz der alten Bundesrepublik festgelegt und bewusst allgemein gehalten. Dabei war eines immer völlig klar: dass die öffentliche Wohnungswirtschaft mit öffentlichem Geld subventioniert werden muss.
Im wiedervereinigten Deutschland kam es jedoch zu einem folgenreichen Paradigmenwechsel. In Berlin war es Mitte der Neunzigerjahre Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), die den Kurswechsel forcierte. Hatte die kommunale Wohnungswirtschaft 1989 ihre Gemeinnützigkeit eingebüßt und sollte kurz danach erstmalig Dividenden an das Land abführen, so kam es 1995 zu einem neuen Haushaltsstrukturgesetz, das es erlaubte, landeseigene Grundstücks- und Wohnungsbestände zu veräußern. Erklärtes Ziel war, „Handlungsspielräume für Zukunftsaufgaben der Stadt zu gewinnen“. Bald darauf begann Fugmann-Heesing, die kommunalen Wohnungsunternehmen zu so genannten In-sich-Geschäften zu veranlassen. Ein Wohnungsunternehmen sollte je ein anderes kaufen – um den Erlös an die Landeskasse zu bezahlen.
Und so kaufte die Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft das Wohnungsunternehmen von Treptow, die Degewo das von Köpenick sowie die WBG Marzahn, die GeSoBau das von Pankow und Weißensee und die WBM (Mitte) die WIP (Prenzlauer Berg) sowie die in den westlichen Bezirken operierende WIR. Meist übernahm ein wirtschaftlich besser aufgestelltes Unternehmen ein schwächeres – und immer floss Geld in den Berliner Landeshaushalt. „Man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Unternehmen auf diese Weise Probleme bekommen und Wohnungen verkaufen müssen, um sich zu sanieren“, sagt SPD-Stadtentwicklungsexperte Jürgen Radebold. Etwa 3 Milliarden Euro sind in den vergangenen fünfzehn Jahren aus den landeseigenen Unternehmen an die Landeskasse geflossen, Dividendenausschüttungen und Grundstücksverkäufe eingerechnet. Beliefen sich die öffentlichen Wohnungsbestände nach der Wende noch auf rund 500.000 Einheiten – davon 220.000 in Westberlin – sind es heute kaum noch mehr als die Hälfte, im Westteil der Stadt sogar weniger als 10 Prozent der ursprünglichen Zahl. Neben den Privatisierungen einzelner Wohnungen sind als „Flaggschiffe“ der kommunalen Wohnungswirtschaft bereits zwei ganze Unternehmen veräußert worden: 1997 die Gehag und im Jahr 2004 die GSW mit allein 65.000 Wohnungen. Über den Verkauf eines weiteren Unternehmens wird bereits spekuliert.
Wollte man diese Politik tatsächlich aufhalten, bedürfte es nicht weniger als einer radikalen Kursumkehr. „Tatsächlich müsste man in einzelnen Fällen den Wohnungsunternehmen Geld aus der Landeskasse zuschießen, statt Geld abzuziehen“, urteilt Radebold, und macht damit deutlich, wo das politische Flügelschlagen sehr wahrscheinlich an harte Mauern stoßen wird. Vielleicht handelt es sich bei dem Vorstoß um die letzte Chance, die Option einer aktiven Gestaltung von Wohnungspolitik aufrechtzuerhalten. „Berlin muss sich tatsächlich überlegen, wozu es landeseigene Wohnungsunternehmen besitzt“, sagt dazu der Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), Ludwig Burkardt. „Früher wusste man das einmal. Heute scheint es in Vergessenheit geraten zu sein.“
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