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Beinahe-Katastrophe ohne Konsequenz

ATOMARE FRACHT Hamburger SPD behauptet, ein Hafen ohne radioaktive Transporte sei nicht durchsetzbar – das Bundesrecht. Grüne und Linke fordern Transparenz und hoffen auf ein Bremer Gerichtsurteil

500 Meter entfernt vom brennenden Frachter wurde der Kirchentag eröffnet

Der Blick geht gen Bremen. Wenn heute das Thema Atomtransporte auf der Tagesordnung der Hamburgischen Bürgerschaft steht, wird die Debatte geprägt sein von unterschiedlichen Einschätzungen: Kassiert der Bremer Staatsgerichtshof das Teil-Verbot für Atomtransporte durch den dortigen Hafen, bestätigt es – oder erklärt er sich schlicht für unzuständig?

Bestätigt das Gericht am Montag die bremische Atom-Blockade, soll auch Hamburgs Senat „einen Gesetzesentwurf für ein dauerhaftes Verbot des Umschlags von Kernbrennstoffen im Hamburger Hafen“ vorlegen, fordern die Grünen in einem Antrag, über den die Bürgerschaft heute berät.

Die Grünen und Die Linke haben zwei Anträge zum Transport von atomarer Fracht im Hamburger Hafen vorgelegt – als Reaktion auf die Beinahe-Katastrophe vom 1. Mai, als der mit dem Brennstoff Uranhexafluorid beladene Frachter „Atlantic Cartier“ in Brand geriet. Nur der beherzte Einsatz von über 200 Feuerwehrleuten konnte nach Ansicht beider Parteien einen „atomaren Unfall“ mit „katastrophalen Folgen“ verhindern. 500 Meter entfernt fand zur Brandzeit der Eröffnungsgottesdienst des Kirchentags statt.

Der Senat habe sich den Vorfall erst aus der Nase ziehen lassen, „um ihn dann herunterzuspielen und schließlich keine Konsequenzen zu ziehen“, rügte der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Anjes Tjarks. Grüne und Linke wollen deshalb mehr Transparenz: Die Öffentlichkeit soll über alle Transporte von radioaktiven Stoffen durch die Stadt im Internet informiert werden, fordert Die Linke. Die Grünen verlangen eine umfassende Aufklärung über die Brandursache auf dem Atomfrachter und das Schutzkonzept der Stadt bei Gefahrgutunfällen.

Unterschiedliche Wege gehen beide Parteien bei den Transporten von atomarer Fracht durch den Hafen. Die Linke hat bereits 2011 einen entsprechenden Verbotsantrag gestellt, der seitdem in den parlamentarischen Ausschüssen zirkuliert. „Anders als Bremen hat weder der schwarz-grüne noch der SPD-Senat die Chance genutzt, Atomtransporte durch den Hamburger Hafen zu verbieten“, klagt die Fraktionschefin der Linken, Dora Heyenn.

Die Grünen hingegen wollen, wie Tjarks sagt, „kein Verbot beschließen, dass die Gerichte dann wieder kassieren“. Sie blicken deshalb mit Spannung auf die Entscheidung des Bremer Staatsgerichtshofs. Sollte der sich aber für unzuständig erklären und den Fall an ein Bundesgericht abgeben, sehen die Grünen darin ein Signal, dass bundesdeutsches Atomrecht tangiert wird und das Bremer Verbot auf Dauer wohl keinen Bestand haben wird.

Nicht so lange warten wollen die Sozialdemokraten. Sie beschlossen, die beiden Anti-Atomanträge nicht einmal zur weiteren Beratung in die Ausschüsse zu überweisen, sondern sie sofort abzulehnen. „In den Anträgen steckt wenig Neues, das haben wir alles längst umfangreich diskutiert“, begründet die umweltpolitische Sprecherin der SPD, Monika Schaal, die ablehnende Haltung ihrer Partei.

Auch die schaue gespannt auf das Bremer Urteil, sagte Schaal, befürchte aber, dass man bundesweites Atomrecht nicht mit Landesregelungen unterlaufen und somit nicht die strahlende Fracht aus dem Hafen verbannen könne. MARCO CARINI

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