: Dunkelheit in neuem Licht
FOTOGRAFIE Menschen im Dreck, Zombie-Katzen, Landschafts-Peep-Shows: Die Ausstellung „Your Daily Darkness“ in der Galerie Neurotitan vereint Underground-Positionen, die der Düsterheit verpflichtet sind
VON JENS UTHOFF
Himmel und Hölle. Licht und Schatten. Apollo, Dionysos. Bei Miron Zownirs Fotografien weiß man recht schnell, auf welcher der beiden Seiten man sich bewegt. Man sieht Sex in dunklen Gassen, Tote auf Moskauer Straßen, Obdachlose, die im Dreck liegen. Man sieht viele am Boden liegende Menschen.
Die Fotografien des Berliner Künstlers sind seit vergangenem Freitag in der Gruppenausstellung „Your Daily Darkness“ zu sehen. Zentral sind in der Schau in der Galerie Neurotitan in Mitte zudem die gewaltigen Collagen der ebenfalls in Berlin lebenden Tina Winkhaus und die Fotos des New Yorkers Robert Carrithers. Auch Luis Cerdas Jaubert aus Costa Rica und die Zypriotin Raissa Angeli sind vertreten. Man trifft dort auf sehr unterschiedliche Zugänge zur Fotografie: Während Winkhaus in Studios akribisch ausstaffiert, visagiert und collagiert, reüssiert Zownir mit aus dem realen Leben gegriffenen Aufnahmen. Carrithers findet größtenteils einen epischen Zugang, er schafft für seine Fotos ein Setting und legt ihnen Mythen zugrunde.
Humor im Brutalen
„Wir haben uns überlegt, was wir drei gemeinsam haben“, sagt Carrithers, der heute in Prag lebt und die Ausstellung kuratiert hat, „es war die Dunkelheit in unseren Bildern.“ Es gibt weitere Verbindungen: Das Brutale, das in vielen Arbeiten mitschwingt, ob in fiktiver oder realer Form, wird immer mal wieder durch schwarzen Humor gebrochen. Schließlich sind alle Teilhehmer eher im künstlerischen Underground anzusiedeln. Zownir und Carrithers verbindet sogar eine gemeinsame Geschichte: Beide treffen erstmals im New Yorker East Village der frühen 80er aufeinander. New York befindet sich in einer tiefen Krise, die Metropole versumpft. Gleichzeitig habe man eine große künstlerische Freiheit in der rotten und bankrotten Stadt verspürt, so Carrithers. Es ist die Zeit des Pop-Tenors Klaus Nomi, auch die Fotografin Nan Goldin und die Punk-Avantgardistin Lydia Lunch kommen aus dieser Szene.
Bei Zownir, Jahrgang 1953, führen die zeitlichen Umstände dazu, dass er das soziale Elend, die bedrohliche Stimmung und die sexuellen Exzesse der Zeit dokumentiert. Er hat sich fortan den Abgründen urbanen Lebens gewidmet. Diesem „dark eroticism“ (Carrithers über Zownir) begegnet man in der Ausstellung etwa in einem großen S/M-Porträt.
In der Galerie sind außerdem Videokabinen aufgebaut, die Peepshow-Boxen nachempfunden sind. Darin zeigt Zownir Landschafts- und Städtefotografie. Aktuelle Fotos aus Kiew und Mariupol: postindustrielles totes Gebiet. Ähnlich tot wie jenes West-Berlin von 1979, das Zownir dazwischen einblendet. Leer gefegte Straßen im Winter, eine eingemauerte Stadt, gespenstisch und apokalyptisch.
Carrithers hingegen hat von Beginn seines Schaffens an die kreative Kraft in den Vordergrund gestellt, die in Krisen liegt. Unter den Exponaten sind Fotografien aus dem New Yorker CBGB’s Club: Bilder einer pulsierenden Subkultur. Dazu gesellt sich Carrithers’ Reihe zu Märchen und Mythen, „Fairytales in a New Light within the Darkness“, worin er den Stoff von Apollo oder Orpheus aufgreift. Es sind auch seine in Berlin aufgenommenen Porträts zu sehen. Eins zeigt einen Performance-Künstler bei einer Queer-Riot-Club-Veranstaltung. Vor lila Hintergrund posiert er mit einer „Blow-Job-Maske“ aus Pappmaché.
Mit Tina Winkhaus, 1966 geboren und aus Essen stammend, wandert man im neurotitan „Unter Tage“. Ihre Collagen sind so unterhaltsam wie morbid. Die Fotografien sind im Studio entstanden, die Hintergründe stammen aus den Tunneln, Schächten und Stollen des Ruhrgebiets.
Aus Goethe macht Winkhaus einen Schwarzen: Er relaxt wie auf jenem berühmten Motiv der Italienischen Reise vor einem Felsenhintergrund – der dunkelhäutige Weimarer Klassiker wirkt wie ihr Beitrag zur aktuellen N-Wort-Debatte. Stark auch, wie Winkhaus einen fülligen Transvestiten mit einem sinnlich-entrückten Gesichtsausdruck zur „8th capital sin“ macht – dieses Werk darf man wohl religionskritisch deuten. Ein paar Meter weiter blicken einen Zombie-Katzen an – in Wirklichkeit sind es Sphynx-Katzen – und ein kleines, faltiges Hausschwein wirkt, als stamme es direkt aus der postnuklearen Welt. Manchmal wirken die Collagen mit ihren krassen Hell-dunkel-Kontrasten, als ob Rembrandt jetzt in Pop machte. „Man darf die Bilder nicht zu ernst nehmen“, sagt Tina Winkhaus, als sie vor ihrem Bild „The party is over“ steht. Darauf ist eine Frau zu sehen, die von einem tätowierten Glatzkopf zersägt wird.
„Your Daily Darkness“ ist eine Ausstellung, die überwältigt. Und die genau das im Sinn hat. Wer noch überwältigenden Sound dazu hören will, kann sich den Kompositionen widmen, die der Kreuzberger Musiker Steve Morell eigens für die Ausstellung geschrieben hat.
■ „Your Daily Darkness“: Galerie neurotitan. Noch bis 29. Juni. Rosenthaler Str. 39, im Haus Schwarzenberg
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