Zeit zu schweigen: KOMMENTAR VON MICHAEL KIEFER
Das Ausmaß der gewalttätigen Ausschreitungen ist bestürzend: brennende dänische Botschaften in Damaskus und Beirut. Verwüstungen an der deutschen Vertretung in Gaza. Demonstrationen und öffentliche Verbrennungen europäischer Fahnen in zahlreichen Städten der islamischen Welt. Und das alles wegen ein paar geschmackloser Karikaturen, die in provokativer Absicht von einer bislang international kaum beachteten dänischen Zeitung veröffentlicht wurden.
Keine Frage, die Muslime in Dänemark und überall auf der Welt haben das Recht, sich öffentlich über die Schmähung ihres Propheten Mohammed zu empören. Aber sie haben nicht das Recht, eine Einschränkung der Pressefreiheit zu fordern. Gleiches gilt für die Forderung diverser islamischer Politiker, diverse Regierungen in Europa sollten Entschuldigungen abgeben. Dies gilt es unmissverständlich deutlich zu machen: Hier kann und darf es kein Zurückweichen geben, schließlich geht es um Grundrechte.
Doch statt eindeutig klarzustellen, was geht und was nicht geht, wird auch im Westen Eskalation betrieben. Einige Zeitungen in Deutschland, Frankreich und anderen westeuropäischen Ländern druckten die dänischen Karikaturen mit großspurigem Getöse nach – und gossen damit wissentlich Öl ins Feuer. Nun haben wir den Flächenbrand, der angesichts der bereits vorhandenen Aufgeregtheiten durchaus vorhersehbar war.
In den letzten Tagen ging es nur noch am Rande um die Karikaturen. Kulturkampf ist angesagt, angeheizt und aufgeladen auch durch diverse Halbwahrheiten und Falschmeldungen. In der aufgeheizten Atmosphäre fielen sie vielerorts auf mehr als fruchtbaren Boden.
Angesichts der eskalierenden Proteste in vielen islamischen Ländern, deren Höhepunkt scheinbar noch nicht erreicht ist, bleibt zunächst nur der Appell zur Mäßigung. Mein Vorschlag: drei Schritte zurück, tief Luft holen und drei Tage nicht provozieren und eskalieren, sondern einfach schweigen – auch wenn es schwer fällt. Danach stellen wir uns vielleicht weniger aufgeregt und erzürnt erneut der Auseinandersetzung.
Der Autor ist Islamwissenschaftler
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