: Guter Mann Mohammed
Die Hysterie des islamistischen Mobs gegen ein paar kritische Karikaturen ist erschreckend. Von Gernot Rotter
Da zeichnet ein mittelmäßiger Karikaturist für eine mittelmäßige Zeitung im rechtslastig regierten Dänemark einige Karikaturen, mit denen er versucht, Mohammed, immerhin den Begründer einer Weltreligion, lächerlich zu machen; dann sollen islamistische Geistliche noch einige Karikaturen zusätzlich haben malen lassen (?), in denen Mohammed als Schwein dargestellt wird, und schon kann sich Huntington mit seiner unseligen Kulturkampf-Ideologie wieder einmal bestätigt fühlen: ein aufgehetzter Mob von Jugendlichen, von denen keiner weder die einen noch die anderen Karikaturen gesehen haben dürfte, fackelt im Nahen Osten europäische Botschaften ab, und in der Türkei wird ein katholischer Priester erschossen. Der „normale“ Mensch hier wie dort fragt sich: Was ist eigentlich los?
Im Koran wird die bildliche Darstellung von Mensch und Tier nicht ausdrücklich verboten. Dagegen findet sich im Hadith (Worte und Handlungen des Propheten) ein solches Verbot dergestalt, dass Maler oder Bildhauer, die Lebewesen darstellen, am Tag des Jüngsten Gerichts aufgefordert werden, diesen Wesen Leben einzuhauchen; und da sie dies nicht können, werden sie zur Hölle verdammt. Es wirkt hier offenbar das jüdische Bilderverbot fort, das ja auch das Alte Testament kennt. In früh-islamischer Zeit hielt man sich zunächst nicht völlig an dieses Verbot, wie z. B. Darstellungen des Kalifen Abdalmalik (685–705 n. Chr.) auf Münzen zeigen. Während sich die Christen im 8. Jahrhundert noch eifrig über die Frage des Bilderverbots stritten, setzte sich dieses jedoch in der islamischen Welt weitgehend durch. Eine Ausnahme bildet später die persische (und türkische) Miniaturenmalerei, und in dieser finden sich auch Darstellungen des Propheten, wobei dessen Gesicht aber weiß gelassen wurde. In moderner Zeit (nicht zuletzt unter dem Einfluss der Fotografie) sind vornehmlich bei den Schiiten auch gemalte Darstellungen nicht nur des Vetters des Propheten, Ali, und seiner Nachkommen, sondern auch des Propheten selbst durchaus zu finden.
Um die bildliche Darstellung des Propheten geht es also gar nicht, sondern um die Art und Weise, wie er in den Karikaturen dargestellt wurde: Er wird, und dies ist das Wesen der Karikatur, lächerlich gemacht und verspottet. Ohne sich wohl dessen bewusst gewesen zu sein, griff der dänische Karikaturist zum Teil sogar thematisch auf Elemente des Spotts zurück, die schon im Mittelalter im christlichen Abendland gegen Mohammed gepflegt wurden, so etwa wenn er als haltloser sexistischer Lüstling karikiert wird bzw. wurde. Nun ist nach islamischer Vorstellung Mohammed zwar nicht gottgleich wie Jesus, sondern „nur“ ein Mensch, aber eben ein göttlich inspirierter Prophet und Begründer (oder genauer gesagt: Wiederbegründer) des Islam, des – so die Vorstellung – ursprünglichen Glaubens Abrahams. Mohammed zu verspotten bedeutet somit, den Islam zu verspotten.
Ich kenne das dänische Strafrecht nicht, weiß deshalb nicht, ob es darin einen Paragrafen gibt, der die Herabwürdigung einer Religion unter Strafe stellt. Wenn dies der Fall sein sollte, hätte der dänische Imam, der offenbar den Streit ins Rollen brachte, vor ein dänisches Gericht ziehen sollen, anstatt in den Nahen Osten zu reisen, um die Glaubensbrüder aufzuhetzen. Wenn aber nicht, hätte er die Karikaturen schlicht als geschmacklos öffentlich zur Diskussion stellen können; er hätte von christlichen Kirchenkreisen gewiss Unterstützung erhalten. Der jetzt im Westen eingeforderte Dialog der Kulturen hätte eine Chance bekommen. Nun ist diese Chance vertan, und dies offensichtlich ganz bewusst. Doch warum?
Vor Jahren habe ich bereits gewarnt, dass sich Samuel Huntingtons These vom clash of civilizations zur einer self-fullfilling prophecy entwickeln könne, und habe auch darauf hingewiesen, dass Huntington, ohne sich dessen offenbar bewusst zu sein, im Grunde nur das vorhersagte, was islamistische Apologeten schon lange forderten: den Kampf der Muslime gegen den gottlosen, materialistischen, sexistischen (weniger den christlichen) Westen. Und ebendies ist es, was den islamistischen dänischen Imam und die entsprechenden Prediger vergangenen Freitag in den Moscheen und den von ihnen aufgewiegelten Mob in den Straßen von Damaskus und Beirut bewegte: ihr Hass auf den Westen.
Der verantwortliche Redakteur der dänischen Zeitung hat sich inzwischen für die Veröffentlichung der Karikaturen entschuldigt. Gut. Aber müssen nun alle Dänen und mit ihnen alle Europäer (die Amerikaner sowieso) zu Kreuze bzw. zum Halbmond kriechen? Mit islamistischen Hasspredigern kann man keinen Dialog führen.
Im Fernsehen war vergangenen Sonntag zu sehen, wie ein muslimischer (gewiss kein islamistischer) Geistlicher in Beirut verzweifelt versuchte, den randalierenden Mob mit bloßen Händen aufzuhalten. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Gewiss hat er die Karikaturen, so er sie denn gesehen hat, als Beleidigung seines Glaubens empfunden. Doch hat er – und damit steht er unter muslimischen Theologen, Gott sei Dank, ja nicht ganz allein da – längst begriffen, dass derartige Exzesse dem Islam weit mehr schaden als einige Karikaturen in einer rechtskonservativen Tageszeitung im kleinen Dänemark. Mit derartigen Theologen kann man sehr wohl einen Dialog führen.
Europa hat sich spätestens nach dem Dreißigjährigen Krieg, der auch mit religiösen Argumenten geführt wurde und in manchen Regionen über die Hälfte der Bevölkerung dahinraffte, und nach vielerlei weiteren Irrungen und Wirrungen zu der Einsicht durchgerungen, dass man mit Religion, im wahrsten Sinne des Wortes, keinen Staat machen kann und dass Meinungsfreiheit und die Freiheit des Wortes (und des Stiftes des Karikaturisten) unverzichtbare Menschenrechte sind, ohne die ein friedliches Zusammenleben und eine zivilisatorische Weiterentwicklung auf Dauer nicht möglich sind.
Eine der Karikaturen in der dänischen Zeitung zeigte Mohammed mit – nicht einmal unsympathischem – Gesicht und einer Bombe statt einem Turban auf dem Kopf. Man mag dies als bösartige antiislamische Verallgemeinerung betrachten, doch müssen sich die Kritiker in der islamischen Welt auch fragen lassen, weshalb ein Karikaturist auf eine derartige Idee verfällt. Sind nicht Dutzende von Attentaten, von denen der 11. September ja nur der blutigste war, nicht im Namen des Islam verübt worden? Nennt sich nicht ein Staat, dessen Präsident einem anderen Staat mit der Vernichtung droht und an Atombomben bastelt, „Islamische Republik“?
Ein ägyptischer Autor, ein Muslim, hat einmal geschrieben, dass Politik ein schmutziges Geschäft sei und dass man, wenn man die Religion mit der Politik verbinde, die Religion mit in den Dreck ziehe. Recht hat er. Und Karikaturen dienen in erster Linie der Kritik an politischen Vorgängen. Kann es dann verwundern, wenn im Falle einer offensichtlichen Verbindung von Politik und Religion auch die Letztere entsprechend karikiert wird?
In der islamischen Rechtsphilosophie spielt der Begriff maslaha, „Gemeinwohl“ (der Muslime), eine wichtige Rolle. Als Khomeini 1988 seine so genannte Fatwa gegen Salman Rushdie herausgab, hat dies den Westen aufgeschreckt, und zumindest in den mehrheitlich sunnitischen-islamischen Staaten wurde zum Teil recht harsche Kritik an dieser Fatwa laut. Dem Gemeinwohl der Muslime hat diese Todesdrohung nur geschadet. Inzwischen hat der islamistische Spuk auch die meisten sunnitischen Staaten erfasst, und kritische muslimische Intellektuelle wagen es kaum mehr, dagegen anzuschreiben, weil sie Angst um ihr Leben haben. Umso erschreckender ist die Hysterie des islamistischen Mobs gegen ein paar kritische Karikaturen. Dem Gemeinwohl der Muslime dient dies nicht.
Wir sollten die Kirche im Dorf und Mohammed einen guten Mann sein lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen