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„Früher dachte ich, alle Freier sind Schweine“

Der linke Soziologe Udo Gerheim befragt Männer, die für Sex bezahlen. Seine Meinung, Prostitution sei die reine patriarchale Gewalt, musste er im Laufe der Zeit revidieren

Interview: Eiken Bruhn

Seit 1999 beschäftigen Sie sich mit Freiern, haben seitdem 25 längere Interviews zu Prostitutionsbesuchen geführt. Wie kam es dazu?

Udo Gerheim: Das war relativ zufällig. Ich habe im Studium viel Geschlechterforschung gemacht – das war in den 90ern ja ’in’ – und wusste, dass meine Abschlussarbeit ein qualitativ-empirisches Projekt sein sollte. Ich bin zu der Zeit mit einem Freund – auch ein Soziologe – durch Berlin gelaufen und habe gesehen, wie drei Männer aus dem Bordell kamen. Wir haben uns gefragt, „warum gehen die da rein, wie geht es denen hinterher, unterdrücken die Frauen, sind das Schweine oder arme Würstchen?“. Als ich dann festgestellt habe, dass das Thema kaum erforscht ist, war die Idee geboren.

Was hat Sie daran interessiert?

Ich wollte den ganz normalen Mann erforschen, in seiner Männlichkeit, seiner Sexualität, in seinem Beziehungserleben. Deshalb wollte ich mich nicht auf die Frauen in der Prostitution stürzen oder ein Randthema wie SM oder Gewalt machen.

Was wussten Sie über das Thema?

Eigentlich nichts. Ich hatte auch eine relativ starre vorgefertigte Meinung, dass es patriarchale Gewalt ist, sexuelle Ausbeutung, Unterdrückung der Frau, dass der Mann sich die Frau kauft, sie zum Sex-Objekt macht. Das hat sich im Laufe der Zeit doch sehr gewandelt und differenziert, obwohl ich an dem Punkt immer noch hake. Es gibt ja diese andere Position, die sagt, das ist ein Beruf wie jeder andere, eine Körperarbeit wie Massage, und dass eine vollständige Liberalisierung das beste wäre.

Und wo hakt es?

Meine Probleme sind, dass es weiterhin extrem ungleich ist. Männer sind Freier, Frauen bieten Sexarbeit an. Außerdem ist es unter das Diktat des Konsums und der Verwertbarkeit gestellt. Ganz klassisch nach Marx bedeutet so ein Warenverhältnis immer noch Entfremdung. In meiner Utopie von einer schönen Welt gäbe es jedenfalls keine Sexarbeit.

Welches Bild hatten Sie anfangs von Freiern?

Am Anfang hatte ich schon Ängste. „Was ist das für ein Feld, krieg ich da auf’s Maul, das sind bestimmt ganz eklige schmierige Typen.“ Mein Umfeld hat ganz ähnlich reagiert: „Rufen die hier an, kommen die hierher?“ Es hat sich aber sehr schnell heraus gestellt, dass es wirklich ganz normale Männer sind. Reiche, Arme, Arbeiter, Frustrierte, Erfolgreiche, Spießer, Alternative.

Auch taz-Leser?

Oh ja. Ich weiß nicht, ob es viele sind, aber ich kenne zwei. Die haben auch genau das als Problem definiert: Dass sie in einer alternativen Welt leben, in der Prositutionsbesuche als Gewalt oder unanständig betrachtet werden, die nicht okay sind. Die fürchten soziale Sanktionierung, wenn das raus kommt.

Und solche „Schweine“, mit denen Sie anfangs gerechnet haben, sind Ihnen gar nicht begegnet?

Doch. So wie überall gibt es Scheusale auch unter Freiern. Die finden das geil, auf dem Straßenstrich total entzügige Junkies zu ficken. Das sind natürlich Sachen, wo ich sage: „Stopp, das finde ich Scheiße“. Ich würde sagen, es gibt in der Prostitution Gewalt und Frauenverachtung, aber es gibt auch Freier, die sich einfach ihr kurzes oder längeres Vergnügen abholen. Viele sind sehr sanft und vorsichtig mit den Sexarbeiterinnen, das bestätigen auch die Frauen.

Und welcher Eindruck überwiegt bei Ihnen? Ist das die Mehrheit?

Ich habe dazu kein abschließenedes Statement, das ist ambivalent. Manchmal frage ich mich, warum stellt man sich diese Frage nur bei Freiern, warum nicht, wenn man in der Schlange im Supermarkt steht, warum macht man sich nicht um die Arbeitsbedingungen der Kassiererinnen Sorgen. Weil es dabei nicht um die Ware Sexualität geht?

Oder weil in der Prostitution noch deutlicher wird, dass Männer Macht über Frauen und ihre Körper haben?

Klar, aber wenn gestandene Sexarbeiterinnen sagen, „mir macht das nichts aus, ich kann mich davon distanzieren, ich verkaufe nicht meinen Körper, sondern eine sexuelle Dienstleistung und ich verdiene viel mehr Geld als die Kassiererin“? Soll ich da sagen, „mach das nicht“? Zum Beispiel der Frau aus Osteuropa, die sich und ihrer Familie damit ein schöneres Leben ermöglicht?

Einer Ihrer Interviewpartner sagt über die Frauen am Drogenstrich, er würde Sie zum „reinen Fickmaterial“ degradieren. Wie gehen Sie mit solchen Äußerungen um?

Das ist schlimm, da muss man schon schlucken und es kommt Wut hoch. Aber in dem Moment bist du Forscher und als solchem steht es mir in dem Moment nicht zu, das Verhalten meines Gesprächspartners zu bewerten.

Haben Sie nie die Schwelle überschritten und jemand die Meinung gegeigt?

Nur ein Mal. Da habe ich gesagt, dass man es nicht ohne Kondom machen sollte. Ich würde natürlich niemand decken, der mir erzählt, dass er Frauen vergewaltigt, aber ich glaube, die kommen auch gar nicht zu mir.

Wer kommt denn zu Ihnen?

Das sind Männer, die entweder auf Anzeigen reagiert haben oder auf Einträgen in Freier-Foren im Internet, wo sie sich über ihre Erlebnisse austauschen. Die haben ein Interesse daran, dass über das Thema breiter diskutiert wird. Eine Hauptmotivation ist aber auch das Gesprächsangebot, die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über die Sache zu reden, das Herz auszuschütten, ohne Zurückweisung fürchten zu müssen. Mit anderen Männern ist es nicht so leicht darüber zu reden, das ist immer noch stark tabuisiert.

War Ihnen auch mal jemand sympathisch?

Es gab diesen Mann, das war einfach ein netter Typ, der noch nie eine Freundin hatte und auf der Suche nach Zärtlichkeit war. Der hat sich wahnsinnig viele Gedanken gemacht und ist auch wieder weg gegangen, wenn er den Eindruck hatte, die Frau macht es nicht freiwillig.

Hatten Sie Mitleid mit ihm?

Ja, er tat mir leid. Es gibt aber auch welche, die sagen, sie haben jetzt keine Lust auf eine Freundin. Für die ist es auch ein Ersatz, aber sie leiden nicht darunter.

Welche Motivation gibt es noch außer Frauenmangel?

Einige sagen, dass es mit der eigenen Frau oder Freundin nicht so gut läuft, oder dass sie sich Sexualpraktiken wünschen, die landläufig nicht als normal gelten.

Welche?

Es gibt immer irgendwelche Praktiken, die sich Männer in dieser durchgesexten Welt wünschen, das kann auch einfach nur Oral- oder Analverkehr sein. Oft ist es auch der Reiz an der Normübertretung, einmal SM auszuprobieren oder zwei Frauen oder Gruppensex. In diesen Saunaclubs zum Beispiel laufen 50 bis 70 nackte Frauen herum und die Männer können sich dann ihre Sexarbeiterin wählen. Manche flippen da total aus.

Warum?

Weil es so einen paradiesisch-orgiastische Fantasie ist, die ohne Geld nie möglich wäre.

Wie fanden Sie es in diesem Club?

Einerseits total interessant, andererseits schwierig und anstrengend. Ich hatte vorher Angst, dass ich mich auch ausziehen müsste oder dass ich als Freier betrachtet werde. Was ist, wenn mich jemand sieht, wie ich da rein gehe? Wie kann ich meine Rolle als Forscher abgrenzen? Außerdem wollte ich die ganzen Frauen nicht sehen, das hat natürlich einen objektivierenden Blick. Zum Glück konnte ich mein Jackett anlassen

Würden Sie denn andere Prostitutionsangebote nutzen?

Nein. Ich finde das nicht interessant, weil ich immer denke, das ist so gespielt und es geht nur ums Geld.

Also ist doch nicht jeder Mann, wie es oft heißt, ein potentieller Freier?

Nein, überhaupt nicht. Die überwiegende Anzahl der Männer sind Nichtnutzer. Gesicherte Zahlen existieren zwar nicht, aber nach einer Studie aus Dänemark liegt der Anteil der Prostitutionskunden bei 14 Prozent. Dennoch glaube ich, dass viele Männer schon einmal darüber nachgedacht haben oder eine einmalige Erfahrung hatten.

Und woran liegt es, wer zum Freier wird und wer nicht?

Bisher kann ich da nur spekulieren: Ein schlechtes Gewissen, dass man es unanständig findet, dass man denkt, man unterdrückt die Frauen, dass man aber auch – wie ich – mit diesem einseitigen Begehren nicht klar kommt. Oder auch Angst. Viele sind unsicher und werden beim ersten Mal abgezockt.

Worin ähneln sich denn die Freier?

Im Kern geht es um ein Konzept von Männlichkeit, das ganz zentral an Sexualität gekoppelt ist, darin treffen sich alle Freier. Wieviel Sex habe ich, wie oft, habe ich genug und ausgefallene Sachen erlebt, habe ich genug Frauen gehabt? Daraus ziehen sie Rückschlüsse über den Stand der eigenen Männlichkeit. Außerdem muss man in der Lage sein, eine sexuelle Interaktion einzugehen, die nur auf einen selbst konzentriert ist, nicht aber das Gegenüber miteinbezieht. Das stellen die Männer sich zwar in ihrer Fantasie vor, aber letztendlich bestimmen sie, was passiert. Bei diesem Sex ohne Beziehungsanforderungen geht es ja rein um die individuelle Befriedigung.

Haben die Männer etwas erzählt, womit Sie nicht gerechnet hatten?

Was mich überrascht hat, war, dass es ihnen hinterher nicht schlecht geht, dass kein schales Gefühl zurück bleibt oder eine Sehnsucht. Das war einfach meine Vorstellung, dass man immer so etwas wie eine Beziehung braucht, und sei es nur für eine Nacht.

Am 13. 2., 19 h, spricht Gerheim über seine Forschung im Hamburger Museum der Arbeit (direkt am U/S-Bahnhof Barmbek). Ein Schauspieler wird aus den Freier-Interviews vorlesen. Im März erscheint ein Zwischenbericht seines Projekts. In: Emilija Mitrovic (Hrsg.), „Arbeitsplatz Prostitution – Ein Beruf wie jeder andere?“, ISBN 3-8258-9201-8. Für weitere Informationen oder bei Interesse an einer Teilnahme an der Studie: ugerheim@uni-bremen.de oder ☎ 0160-91969234

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