piwik no script img

Beziehungsgrenzen

Feuerbergstraße: Zweiter Bewerber berichtet von „groteskem“ Gespräch. Leitung streitet Vorwürfe ab

Nach dem gestern in der taz zitierten Sozialpädagogen beklagt sich nun ein weiterer Pädagoge über ein Bewerbungsgespräch im Geschlossenen Heim Feuerbergstraße. „Die Sache verlief genauso grotesk, wie von Herrn Heitmann beschrieben“, erklärt der Erzieher, der anonym bleiben möchte. Das Gespräch habe mit Pädagogik nichts zu tun gehabt: „Es ging nur darum, die Jugendlichen zu verwahren, sie wegzuschließen und ihnen mit Gewalt zu begegnen.“

Ähnlich wie Thomas Heitmann (Name geändert) sei auch ihm eine Gewaltsituation geschildert worden, in der ein Jugendlicher ihn anspuckt und angreifen möchte. „Ich sagte, ich würde auf Gewalt mit Pädagogik reagieren, aber da erklärte mir der stellvertretende Leiter‚ damit würde ich nichts werden.“

Träger der Feuerbergstraße ist der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung. Dessen Geschäftsführer Klaus-Dieter Müller widersprach gestern den Vorwürfen. Heitmanns Schilderung stimme „nicht mit dem Bewerbungsgespräch überein“, so Müller zur taz. „Wir suchen keine Schließer. In den Gesprächen kommt auch Pädagogik zur Sprache.“ Zwar gebe es ein standardisiertes Verfahren, zu dem auch ein „Rollenspiel“ gehöre. Dies sei aber anders abgelaufen, als von Heitmann geschildert.

So würden die Bewerber in der imaginären Situation von fünf angriffsbereiten Jungen nicht mit „heißem Essen“, sondern mit „Nachtisch“ beworfen. Das Szenario werde benutzt, weil es vorkomme, „dass ein Betreuer allein ist“. Der Mitarbeiter, der das Rollenspiel durchführte, bestreitet nach Müllers Angaben jedoch, dass er gesagt habe, Hilfe zu holen sei nicht möglich. Heitmann hingegen bleibt bei seiner Darstellung: „Ich habe gesagt, ich würde Hilfe holen, und dann hieß es: ‚Es gibt keine Hilfe, und es ist niemand auf Station.“

Auch in zwei weiteren Punkten steht Aussage gegen Aussage. So bestreitet laut Müller der zitierte Gruppenleiter, er habe gesagt, er würde den Jugendlichen einen „Einlauf verpassen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht“. Und auch die Aussage der Psychologin, es sei nicht möglich, in der kurzen Zeit zu den Jungen Vertrauen aufzubauen, „verkürzt“, so Müller, das „fachliche Gespräch, das dort über Grenzen von Beziehungsarbeit geführt wurde“. Heitmann erinnert nur ein „kurzes Gespräch“ und bleibt in beiden Punkten bei seiner Darstellung. Kaija Kutter

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen