piwik no script img

Hilferufe in der Oberleitung

Gymnasium an der Hamburger Straße demonstriert gegen Platzmangel, doch Senator Lemke sieht keinen Handlungsbedarf. Verhedderte Protestballons sorgen für Ärger

Bremen taz ■ Die Idee mit den 1000 Luftballons war vielleicht doch nicht so gut. Eigentlich wollte der Elternbeirat des Gymnasiums an der Hamburger Straße, dass nette Mitbürger die daran hängenden Postkarten an Schulsenator Willi Lemke schicken sollen. Der Hilferuf „Wir brauchen mehr Raum!“, blieb bei der gestrigen Protestaktion aber zuweilen auf halbem Wege hängen: Viele der Ballons haben sich direkt nach dem Start heillos in der Oberleitung der Straßenbahn an der Haltestelle St.Jürgen-Straße verheddert.

An den Forderungen ändert die Hängepartie freilich nichts. Eltern, Lehrerschaft und SchülerInnen beklagen überfüllte Räume, fehlende Möglichkeiten zum Mittagessen und einen viel zu kleinen Schulhof. Die 7. Klassen haben nicht einmal eigene Klassenzimmer. „Wir müssen ständig herumziehen und einmal in der Woche sogar an die Schule in der Schaumburger Straße“, klagt Sofie aus der 7a. Und ihre Freundin Antine schickt ein entschiedenes „das nervt“ hinterher. Lehrer Gerd Suchodolski kann den Ärger verstehen. „Wenn ganze Jahrgänge ausgelagert werden, kann da kein Identitätsgefühl und kein Rhythmus entstehen.“

Für Elternsprecher Ronald Seiler liegen die Gründe für die untragbaren Zustände auf der Hand. Das sei die Folge der vom Senat gewollten Auflösung der Orientierungstufe und der damit verbundenen Aufnahme der 5. und 6. Klassen, meint er. Dazu komme die Erhöhung der Stundenzahl durch die Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre. Mehr Nachmittagsunterricht bedeutet aber auch, dass mehr SchülerInnen zum Essen da bleiben. „In der Schule sind hierfür aber keine ausreichenden Räumlichkeiten vorhanden“, sagt Seiler.

Zu Hunderten ging man deshalb auf die Straße. Der Elternbeirat hat nämlich eine tolle Lösung parat. Die Polizei könnte doch die von ihr nur noch teilweise benutzte ehemalige Schule am Brommyplatz räumen und für eine Mensa, eine Schulbibliothek und Arbeitsräume frei machen. „Gemeinsam für unser Gymnasium und die Gesamtschule Mitte.“ Der Beirat Östliche Vorstadt fand die Idee prima, hat einstimmig dafür votiert, doch vom Bildungssenator Willi Lemke gab es bereits im Januar eine Abfuhr: Er hält eine Erhöhung der Raumkapazitäten für „nicht erforderlich“. Lösungen müssten im vorhandenen Raumbestand gefunden werden.

Dass das Innenressort zusammen mit der Polizei dennoch einen möglichen Auszug geprüft hat, mit negativem Ergebnis freilich, das ärgert Ressortsprecher Markus Beyer heute. Man fühlt sich vom Beirat getäuscht. Wenn der Senator gar keinen Bedarf sieht, sei man ohne Not in die Debatte gezogen worden. „Jetzt sieht es so aus, als ob wir uns weigern würden, Platz zu machen.“

So wird man am Gymnasium wohl weiter von zusätzlichen Räumen nur träumen können. Jetzt steht gar weiterer Ärger ins Haus: Die Protestflugkörper in den Oberleitungen blockierten die Straßenbahnen rund 30 Minuten, ein längerer Stau war die Folge. Letztlich musste ein Kranwagen anrücken. „Die sollten doch wissen, dass man hier keine Ballons fliegen lässt“, sagte ein BSAG-Mitarbeiter kopfschüttelnd. „Das wird wohl eine kleine Rechnung geben.“ Achim Graf

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen