LEUCHTEN DER MENSCHHEIT VON SONJA VOGEL: Frauenschoß als Mördergrube
Neulich erzählte mir eine Freundin, wie sie vor der Praxis ihres Arztes aufgehalten wurde. Zwei Männer zwangen ihr die Nachbildung eines Plastikfötus auf. Sie dürfe ihren mütterlichen Schoß nicht zu einer „Mördergrube“ werden lassen, sagten sie. Radikale Abtreibungsgegner, die Frauen auflauern, in Deutschland?
Tatsächlich ist der Schwangerschaftsabbruch, 40 Jahre nachdem die Frauenbewegung Massen für die reproduktive Selbstbestimmung und gegen den Paragrafen 218 mobilisierte, wieder stigmatisiert. Nicht nur Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, werden durch „Gehsteigberatungen“ unter Druck gesetzt, auch Beratungszentren und Ärzte werden mit Klagen und Hassbriefen überzogen. Von diesem Rollback in Sachen Selbstbestimmung berichtet der Band „Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum“ (AG SPAK Bücher, 2013).
Wer schon einmal versucht hat, sich im Internet über Abtreibung zu informieren, weiß, wie schwierig das ist. Zunächst stößt man auf Propagandaseiten, die gegen „Tötungszentren“ von Pro Familia und Co. hetzen und vor Vergleichen mit dem Holocaust nicht haltmachen. Familienplanungszentren müssen dagegen ihre Informationen verstecken, denn Werbung für den Abbruch ist ein Straftatbestand. Wie sehr die Abtreibungsgegner die Öffentlichkeit dominieren, zeigen die „Märsche für das Leben“, die jedes Jahr mehr Teilnehmer verzeichnen – dort demonstrieren christliche Fundamentalisten mit Bundestagsabgeordneten gegen Abtreibung.
„Die selbst ernannten Lebensschützer sind keine ‚Wirrköpfe‘ “, schreibt die ehemalige Bundesvorsitzende von Pro Familia, Gisela Notz. „Sie agieren keineswegs am Rande der Gesellschaft, sondern sind mitten in der Gesellschaft angekommen.“ Sie unterhalten Beratungsstellen, eine Juristenvereinigung und beste Kontakte. Nicht zuletzt deshalb steht der Paragraf 218 noch immer im Strafgesetzbuch.
■ Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der Kulturredaktion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen