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Farbe beim Trocknen

FILME Passieren tut nicht viel in seinen Filmen. Geredet wird umso mehr. Mit einer Retrospektive erinnert das Metropolis an den im Januar verstorbenen Nouvelle-Vague-Mitgründer, Filmregisseur, -kritiker und -theoretiker Éric Rohmer

Keine packende Handlung, kein Soundtrack, ständig Sonnenschein am Strand

VON ROBERT MATTHIES

Die wohl berühmteste Kritik des strengen filmischen Stils des Nouvelle-Vague-Mitbegründers Éric Rohmer hat Gene Hackman 1975 als Detektiv Harry Moseby in Arthur Penns Spielfilm „Night Moves“ formuliert: Man käme sich vor, als beobachte man Farbe beim Trocknen, wenn man einen Streifen des französischen Film- und Theaterregisseurs, kritikers und -theoretikers sehe.

Passieren tut in Rohmers Filmen tatsächlich nicht viel: keine packende Handlung, kein Soundtrack, ständig Sonnenschein an wunderschönen Stränden, dafür aber: exakte Beobachtungen von Gestik, Mimik und Sprache der Protagonisten – keine Close-Ups! –, und ausdauernde Dialoge über die Beziehung zwischen Mann und Frau. Interessiert hat sich der im Januar im Alter von 89 Jahren verstorbene ehemalige Chefredakteur der bedeutenden Filmzeitschrift Cahiers du cinéma, bei der er mit anderen Nouvelle-Vague-Regisseuren wie François Truffaut, Claude Chabrol, Jean-Luc Godard oder Jacques Rivette zusammengearbeitet hat, nicht für Handlungen, nicht für das, was Menschen tun, sondern für all die Dinge, die in ihrem Bewusstsein vor sich gehen, während sie es tun. Nicht wie ein Theaterstück funktionieren die Arbeiten des studierten Literaturwissenschaftlers, sondern eher wie ein Roman.

Der Roman „Elisabeth“ war es auch, der einzige, den Rohmer jemals geschrieben hat, mit dem der damals seit zwei Jahren als Lehrer und Zeitungsjournalist Arbeitende 1946 unter dem Pseudonym Gilbert Cordier das erste Mal öffentlich in Erscheinung getreten war. Zwei Jahre später erschien sein erster filmtheoretischer Essay in der kurzlebigen La Revue du Cinéma, 1955 schließlich publizierte er das erste Buch über Alfred Hitchcock überhaupt, gemeinsam mit seinem Kollegen Claude Chabrol, der wiederum vier Jahre später Rohmers ersten Film „Le signe du lion“ („Im Zeichen des Löwen“) produziert hat.

Mit Rohmers relativ unbekanntem Debütfilm, ein spätes Schlüsselwerk der Nouvelle Vague beginnt auch die Retrospektive, die ab Montag im Metropolis zu sehen ist. Dabei fällt „Im Zeichen des Löwen“ ein wenig aus der Reihe: nicht um die Liebe dreht es sich hier, sondern um den erfolglosen US-amerikanischen Musiker Pierre Wesserin im sommerlichen Paris auf einer Achterbahnfahrt zwischen Verwahrlosung und geerbtem Reichtum. Denn gerechnet hatte der mit einer Erbschaft. Die aber bekommt nun überraschend der Cousin. Woraufhin der gesellschaftliche Abstieg unausweichlich erscheint.

Dass die Liebe und ihr Scheitern nebst der damit in Zusammenhang stehenden Moral und Ethik Rohmers eigentliches Sujet ist, macht der Rest der Filme deutlich: „Meine Nacht bei Maud“ etwa, in dem der junge Ingenieur Jean-Louis beschließt, eine junge Blonde zu seiner Frau zu machen. Und lange mit ihr über Treue, Verführung, Ehe, Moral und Religion diskutiert. Fünf Jahre später treffen sie sich wieder: Da gibt es nichts mehr als Floskeln.

■ ab Mo, 1. 3., Metropolis, Steindamm 54, www.metropoliskino.de

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