piwik no script img

DVDESKEin guter Schiss ist der halbe Tag

Ulrich Schamoni: „Chapeau Claque“, Deutschland 1973, ab ca. 20 Euro im Handel

Von seinem Spielfilmdebüt „Es“, der 1967 ein großer Erfolg war, mit Bundesfilmpreisen und sehr guten Zuschauerzahlen, kaufte sich Ulrich Schamoni ein schönes Haus. Berlin-Grunewald, Furtwängler Straße 19. Auf dem Nachbargrundstück lebten Gretchen und Rudi Dutschke und der chilenische Autor Gaston Salvatore. Für Schamoni erwies sich der Kauf als prima Investition in die berufliche Zukunft. Als es für ihn in den Siebzigern schwieriger wurde, an Gelder zu kommen, drehte er seine Filme kurzerhand in der eigenen Villa. Drei insgesamt, „Chapeau Claque“, der 1974 entstand, ist der eigenwilligste von ihnen.

Schon die Genrebeschreibung ist nicht einfach. Eine filmische Mockumentary-Autobiografie, könnte man sagen. Ein Mann in einem scheußlichen orange-schwarzen Bademantel kommt, Rilkes „Herbsttag“ zitierend, ins Bild: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Der Mann, der da spricht, wird von Ulrich Schamoni gespielt. Er stellt sich vor als Hanno Giessen, Erbe einer Unternehmerfamilie, die mit dem Verkauf der Chapeau Claque genannten Zylinderhüte reich wurde. Dieser Hanno ist vermutlich nach dem letzten Erbe der Buddenbrooks benannt, denn auch er ist in seiner Familie der schwächliche Letzte. Unter seiner Führung ging die Firma in Konkurs. Nun lebt er in der Villa, aus den Beständen, die er, wenn das Geld wieder ausgeht, verkauft und versetzt.

Für die Nachwelt, und sei es in Tausenden Jahren, will Hanno Giessen sein Leben festhalten. Auf den ersten Blick ist wenig daran festhaltenswert. Er ist eine Art Oblomow, der sich nur mit Mühe aus dem Bett quält und die Tage mit Nichtstun vertut. Für die Kamera erzählt er von Chapeau Claques und besseren Zeiten und Sex in seinem nun vor sich hin rostenden Wagen. Keine Weisheit ist ihm zu doof, um sie nicht neunmalklug zu verkünden: „Gott gibt uns die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf.“ Oder: „Kurz vorm Ziel verreckt ist auch gestorben.“ Oder: „Ein guter Schiss ist der halbe Tag.“ Die andere Hälfte ist Chillen, im Haus und im Garten. Herr, es ist unendlich viel Zeit, und das Bademantelsortiment war sehr groß.

Sie sucht Unterschlupf

Ein bisschen Abwechslung kommt in sein Leben, als der Mann, der die Einkäufe ins Haus bringt (Rolf Zacher), eine junge Frau annonciert, die Unterschlupf sucht. Anna Henkel (spätere Gattin von Herbert Grönemeyer) streunt nun – oft nackt – in Haus und Garten herum und tut sonst auch eher nichts. Man nähert sich an. Freunde kommen vorbei, Karl Dall, Ingo Insterburg, Wolfgang Neuss spielen sie. Letzterer rät Hanno Giessen, der FDP beizutreten, was insofern lustig ist, als Schamoni später in seiner Karriere als Medienunternehmer und Gründer des Radiosenders 100,6 ja wirklich ein Mann der FDP wurde. Hier aber, in „Chapeau Claque“, regiert ein sehr erweiterter Leistungsbegriff.

Schamoni bekam mit dem Film Ärger und eine FSK-Freigabe ab 18. Er leiste, hieß es, dem Faulenzen Vorschub. Stimmt ja auch. Er zeigt Qual, aber auch Wonne der Indolenz. Ziemlich versaut ist „Chapeau Claque“ auch.

Wie sehr Schamoni seinen Eigensinn auch nach seiner Zeit als Regisseur wahrte, kann man im zweiten Film auf der DVD sehen. „Abschied von den Fröschen“ besteht zum Großteil aus autobiografischem Dokumentarmaterial. Schamoni hat nach seiner Leukämieerkrankung von 1996 bis 1998 ein Tagebuch seines Sterbens geführt. Seine Tochter Ulrike hat es zu einem Porträt montiert. Hier sieht man nun, gut zwei Jahrzehnte später, den Mann im selben Haus und im selben Garten wie einst. Nun als Ulrich Schamoni selbst. Er zählt seine Tage und genießt die Strahlen der Sonne und das Quaken der Frösche. So einen gab es im Neuen Deutschen Film also auch.

EKKEHARD KNÖRER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen