piwik no script img

vor ortLUTZ DEBUS über kämpferische Schülerinnen in Rietberg

Rietberg nennt sich selbst „Stadt der schönen Giebel“. Das Leben in dem rund 29.000 Einwohner zählenden Städtchen im Kreis Gütersloh wird in den nächsten Tagen ein wenig weniger beschaulich sein. In der historischen Altstadt wollen Schülerinnen der Hauptschule Flugblätter verteilen und damit die Kreisverwaltung in massive Erklärungsnot bringen. „Wir möchten den Lügen, die in den Zeitungen standen, etwas entgegensetzen“, sagt die 16-jährige Yvonne.

Am vergangenen Dienstag wurde ihre Mitschülerin Hana Davrisheva zusammen mit deren Eltern und zwei kleinen Geschwistern nach Georgien abgeschoben. Die gewaltsame Festnahme der Familie vor einem Monat hat die Empörung der MitschülerInnen hervorgerufen. Yvonne kennt seit elf Jahren Hana und auch deren Vater. „Ein herzensguter Mann.“ Es sei eine Lüge, dass Herr Davrisheva mit Drogen gedealt habe. Dies zumindest stand in einer Lokalzeitung. So entschloss sich das Mädchen mit ihren Klassenkameraden zu einem außergewöhnlichen Schritt. Die Jugendlichen verfassten ein Flugblatt. Neben einem Foto, das Hana und Yvonne zeigt, ist zu lesen: „Der Kreis Gütersloh nahm mir meine beste Freundin.“ Das Blatt endet mit dem Satz: „Für dieses Vorgehen verachten wir die Ausländerbehörde.“ Der Kreis Gütersloh musste sich in diesem Fall schon der Kritik von Rechtsanwälten, Flüchtlingsgruppen und Ärzten erwehren.

„Man kannte uns nur im Doppelpack“, erklärt Yvonne. Seit der Vorschule seien sie und Hana unzertrennlich gewesen. Und in diesem Jahr wollten sie gemeinsam ihren Schulabschluss machen. Ohne den sei es für die 17-jährige Hana in Georgien noch schwerer, eine Perspektive zu entwickeln. Deshalb möchte nun die Schule in Rietberg, dass Hana bis zum Sommer zurück nach Deutschland kommt. Aber die Ausländerbehörde teilte mit, dass für die Familie Davrisheva ein Einreiseverbot bestehe.

Für Yvonne geht es nicht nur darum, dass ihre Freundin, die immer eine der besten in der Klasse war, ein Abschlusszeugnis bekommt. „Statt Abschieben verabschieden!“, sagt das Mädchen mit den blonden Locken mit knappen Worten. Manchmal könne sie mit Hana telefonieren. Sobald man wisse, wo die Familie Davrisheva dauerhaft in Georgien wohnt, werde man eine Spendenaktion starten, um Hanna und ihren beiden elf und acht Jahre alten Geschwister eine sicherere Zukunft zu ermöglichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen