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Denken statt einsperren

GAL präsentiert Alternativen zum Geschlossenen Heim Feuerbergstraße. Ambulantes Einzeltraining schützt Jugendliche wirksam vor Delinquenz

„Wir erreichen dort ihre Körper, aber nicht ihre Seelen“

„Wir können nicht nur sagen, wir lehnen die Feuerbergstraße ab. Wir müssen auch Alternativen benennen“, erklärte die GAL-Politikerin Christiane Blömeke, als sie am Mittwochabend im Rathaus eine Fachdiskussion über das Geschlossene Heim für straffällige Jugendliche eröffnete. Der Hamburger Senat behaupte einfach, dass es diese Alternativen nicht gebe, „dabei liegen sie vor der Haustür“. Um hier „wieder einmal die Arbeit der Behörde zu erledigen“, hatte sie vier Referenten eingeladen, die einen „Strauß“ von innovativen Ansätzen darboten, die alle vom Deutschen Jugendinstitut in München evaluiert wurden.

Effektiv und günstig ist die aus England übernommene „Denkzeit“-Methode, die Sozialpädagogin Rebecca Friedmann vorstellte. Dort müssen Jugendliche, die durch Straftaten auffallen, ein 40 Sitzungen umfassendes Einzeltraining mit Hausaufgaben durchführen, das gezielt jene Kompetenzen fördere, die vor kriminellen Handlungen schützen. Dazu gehöre die Fähigkeit, die eigenen Affekte zu kontrollieren, Handlungsalternativen zu entwickeln oder sich in andere Menschen – speziell das Opfer – hineinzuversetzen.

Der Pädagogikprofessor Jürgen Körner hat diese Methode, an der bislang 70 Jugendliche teilnahmen, mit anderen verglichen und festgestellt, dass sie Straftaten am stärksten verhindert. Zudem ist die Methode, bei der die Jugendlichen frei rumlaufen, mit nur 2.600 Euro Fallpauschale recht günstig.

„Es gibt eine ganze Reihe von Methoden, die relativ gut und günstig sind“, ergänzte der Mannheimer Wissenschaftler Rainer Kilb, der als Miterfinder der nicht unumstrittenen konfrontativen Pädagogik gilt. Bei seinem Antiaggressionstraining wird in Gruppen gearbeitet, in denen die Jugendlichen die Tat rekonstruieren, sich in die Opfer hineinversetzen und Handlungsalternativen erproben. Umstritten ist die Methode wegen des „heißen Stuhls“, eines von neun Modulen, bei dem ein Jugendlicher in einem Rollenspiel auf teils aggressive Weise mit seinen Taten konfrontiert wird und es schaffen muss, sich nicht provozieren zu lassen.

Kilb betonte, dass „Akzeptanz und Vertrauen“ die Grundlage für diese Methode sind, die sowohl ambulant als auch in Heimen angewandt wird. Was laut Blömeke in der Feuerbergstraße, wo auch konfrontative Pädagogik stattfindet, nicht gegeben sei.

Mehr auf die Veränderung der Lebensumstände orientiert ist die Ambulante Intensive Begleitung (AIB), die Thomas Möbius vom „Institut für soziale Praxis“ am Rauhen Haus vorstellte. Das aus den Niederlanden übernommene Prinzip zielt darauf ab, einen strafauffälligen Jugendlichen binnen drei Monaten in ein stabiles soziales Umfeld zu integrieren und ihm beizubringen, sich auch künftig selbst Unterstützung zu holen. „Dabei geht es um ganz praktische Dinge“, berichtet Möbius. „Sei es, jemanden zu finden, der seine Handy-Rechnung kontrolliert oder ihm hilft, morgens aufzustehen.“ Die Methode wurde unter anderem im Landkreis Harburg erprobt und führte immerhin dazu, das in 80 Prozent der Fälle anschließend keine Jugendhilfe mehr notwendig war.

Gleich eine ganze Stadt wurde in Lübeck 1999 an einem Modellprojekt beteiligt, mit dem es der damaligen Jugendamtsleiterin Irene Böhme bis heute gelang, ein Geschlossenes Heim zu verhindern. Böhme installierte eine „Steuerungsgruppe“, an der unter anderem der Schulrat, der Polizeipräsident und die Chefs von Kinderpsychiatrie und Arbeitsvermittlung beteiligt sind. Die Institutionen arbeiten stark vernetzt, so dass zum Beispiel ein vor Gericht stehender Jugendlicher, der keinen Job hat, für den nächsten Werktag einen Termin beim Arbeitsvermittler bekommt. Ferner gibt es eine „Clearingstelle“ beim Jugendamt, die für schnelle Hilfe sorgt und verhindert, dass schwierige Kinder hin und her geschoben werden.

„Wir haben in den 90er Jahren vier Mal Jugendliche in anderen Ländern in Geschlossenen Einrichtungen untergebracht. Und jedes Mal ist es gescheitert“, erinnert sich die überzeugte Heimgegnerin: „Wir erreichen dort ihre Körper, aber nicht ihre Seelen.“ KAIJA KUTTER

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