DAUMENKINO: „His & Hers“
Siebzig Mädchen und Frauen erzählen von ihren Beziehungen zu Jungs und Männern. In kurzen, unverbunden gesetzten Vignetten sprechen Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter, Freundinnen in die Kamera. Manchmal sind sie bei häuslichen Tätigkeiten zu sehen, während ihr Voice-over die Bilder unterlegt. Die Dokumentation „His & Hers“ des irischen Filmemachers Ken Wardrop wirkt formal wie eine Langzeitstudie, weil sein Film in gewisser Weise der Chronologie des Lebens folgt. Es sind nie zweimal dieselben Männer, an die sich die Frauen erinnern, und dennoch entwickelt sich ein Erzählfluss, weil die Sprecherinnen im Laufe des Films älter werden.
Der Wahrnehmungshorizont verändert sich. Aus verlegenen Teenagerverliebtheiten werden skeptische Frauenbeobachtungen über männliche Eigen- und Unarten. Schließlich hält auch der Tod in die Anekdoten und Erinnerungen Einzug, wenn der Film hochbetagte Damen Lebensresümees ziehen lässt. Wardrop geht es dabei nie um den letztgültigen Eindruck eines Lebens (auch wenn der erste Freund oder Hochzeiten immer wieder eine Rolle spielen), die Geschichten der Frauen kreisen eher um Momentaufnahmen, in deren Gleichförmigkeit jedoch eine Spezifität aufblitzt. Diese Besonderheit betont Wardrop durch einen Kunstgriff: Die Männer, um die sich in „His & Hers“ doch alles zu drehen scheint, glänzen durch Abwesenheit.
So entsteht der Eindruck einer Typologie, den Wardrop noch durch seine Inszenierung stützt: Alle Interviews finden in den Häusern und Wohnung der Frauen statt. Sein Film liefert damit en passant auch eine wahnwitzige Stilkunde über das schöne Leben und Wohnen in einem sehr spezifischen geografischen und gesellschaftlichen Segment. Alle Frauen sprechen im schweren, zerkauten irischen Dialekt der Midlands, der selbst für Englischkundige eine beträchtliche Herausforderung darstellt.
„His & Hers“ trägt damit Züge einer Chronik der irischen Provinz, die das Außen (ihre kulturellen Signifikanten beziehungsweise lokalen Klischees) sorgfältig verhüllt. Dieser Ansatz wirkt nie herabwürdigend, weil die Vorstellungen der Frauen in ihrer Einmütigkeit, auch durch das Lebensmodell, das Wardrops Film porträtiert (homosexuelle Paare kommen genauso wenig vor wie Patchworkfamilien), etwas sehr Berührendes haben. Das „His“ des Titels rückt in diesen Beobachtungen in den Hintergrund, es dient lediglich als Projektionsfläche für weibliche Lebensbetrachtungen, die zwar nicht immer auf der Höhe des gesellschaftlichen Diskurses stehen, aber eine griffige Lebenswirklichkeit in der britischen Tradition von Mike Leigh, Ken Loach oder Alan Clarke beschreiben. ANDREAS BUSCHE
■ „His & Hers“. Regie: Ken Wardrop. Dokumentarfilm, Irland 2009, 80 Min.
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