: Wir sind alle Bürger
PANTERPREIS-KANDIDAT II Der Kampf um ein selbstbestimmtes Leben hat erst begonnen. Das Camp auf dem Berliner Oranienplatz informiert, organisiert und macht Diskriminierung gegen Flüchtlinge spürbar. Ein Besuch
■ Die Proteste begannen nach dem Selbstmord des Iraners Mohamad Rahsepar im März 2012. Am 8. September 2012 startete in Würzburg ein Protestmarsch: Vier Wochen liefen die Flüchtlinge 600 Kilometer durch Deutschland bis nach Berlin und errichteten dort das Refugee Camp am Oranienplatz. Inzwischen bestehen weitere Camps unter anderem in München, Hamburg, Wien, Amsterdam, Bologna, Rom und Budapest.
■ Um sich europaweit besser zu vernetzen, starteten die Flüchtlinge Ende Juni die Transnational Tour. Von Berlin ging es zunächst nach Wien, dann nach Rom.
■ Auf Transnational Tour 2013 berichtet die Südsudanesin Napuli Langa über den Verlauf in ihrem Tourtagebuch: asylstrikeberlin.wordpress.com
VON MARIE-CLAUDE BIANCO
An der rechten Zeltwand hängen zahlreiche Plakate mit Demoaufrufen. Eine kleine Bildergalerie dokumentiert den Protest. Ein Protest, der mit dem Selbstmord von Mohamad Rahsepar begann. Der Mann aus dem Iran verübte im März 2012 in einem Flüchtlingslager in Würzburg Suizid. Er ertrug sein entwürdigende Lebenssituation im Lager nicht.
Patras Bwansi wartet im Eingangsbereich des Infozelts. Es steht auf Höhe der Bushaltestelle. Links befindet sich ein niedriger Tisch, Flyer liegen aus, ein paar Stühle stehen bereit.
Mehr als zehn große weiße Partyzelte stehen auf der Wiese des Oranienplatzes in Berlin. Hier haben die Flüchtlinge, die aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengekommen sind, ihr Protestcamp aufgeschlagen. „Wir sind bis in die Hauptstadt marschiert, um unseren Protest sichtbar zu machen.“
An der Stirnseite des Infozelts steht ein großer Tisch, an dem immer ein bis zwei Campbewohner sitzen, um Fragen zu beantworten und Interessierten das Camp und den Protest zu erklären. Patras Bwansi hat sich in Passau den Protesten angeschlossen. Jetzt sitzt der schlanke, ganz in Schwarz gekleidete Mann in einem der großen weißen Zelte. An diesem wuseligen Ort ist es nicht einfach, einen ruhigen, ungestörten Platz zum Reden zu finden.
„Privatsphäre fehlt uns völlig“, sagt Bwansi, „das ist zum Teil schon sehr schwer zu ertragen.“
Im Zelt ist es nahezu dunkel, langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Auf einer der Liegen ruht sich ein Mann aus Mali aus. Er versucht es zumindest.
Ganz ohne Konflikte ist auch das Leben der Menschen im Camp nicht – auch wegen der wenigen Rückzugsmöglichkeiten –, aber das ist kein Vergleich zu den Lagern. „Dort kämpft jeder für sich allein – hier kämpfen wir zusammen“, sagt Bwansi.
Patras Bwansi ist vor drei Jahren vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat geflüchtet. Er ist ein herzlicher, aufgeschlossener Mann. Er sucht immer wieder den direkten Blickkontakt, während er von den letzten Monaten erzählt. „Wir mussten mit unserem Protest in die Hauptstadt“, sagt der 34-Jährige. „Wir wollen unsere Isolation aufbrechen und die Deutschen über die Unmenschlichkeit des Asylsystems informieren.“
Der selbst organisierte Kampf der Flüchtlinge gegen die repressive deutsche Asylgesetzgebung entspringt ihrer Verzweiflung. Sie kämpfen gegen die Lagerhaltung und die Residenzpflicht. Wildfremde Personen aus den unterschiedlichsten Kulturen werden zusammen in Lager gesteckt, die Ausländerbehörde bestimmt, welchen Bewegungsradius die Menschen dann haben. Deutschland ist das einzige Land in der EU, das eine Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete hat. Wer dagegen verstößt, bekommt die Leistungen gekürzt.
Patras Bwansi kam im August 2010 nach Deutschland. Er ist vor dem Krieg in Uganda geflohen und hat hier einen Asylantrag gestellt. Er weiß, wie schwer es als Flüchtling in Deutschland ist – ohne Sprachkenntnisse, ohne das gesellschaftliche System zu kennen. Keiner sagt ihnen, dass sich ihr Leben fortan in der Warteschleife befindet, nachdem sie erst mal einen Asylantrag gestellt haben. Für Asylbewerber und Geduldete gelten andere Rechte als für Bürger.
Das bedeutet neben Arbeits- und Ausbildungsverbot, dass es für die Menschen keine Deutschkurse gibt und sie ständig mit der Angst vor einer drohenden Abschiebung leben müssen.
Oft werden Familienangehörige getrennt und in verschiedene Unterkünfte verbracht – in Kombination mit der Residenzpflicht bedeutet das somit ein faktisches Besuchsverbot.
Und es heißt Warten: warten auf eine Entscheidung der Ausländerbehörde.
„Eine Duldung bekommt man immer nur für sechs Monate, dann kommt die nächste Duldung und die nächste.“ Nach deutschem Recht bestünde nach 18 Monaten Duldung ein Soll-Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis – deswegen erteilen die Behörden zumeist sogenannte Kettenduldungen.
Im Mai 2013 leben von den 200.000 Geduldeten in Deutschland 70.000 schon seit zehn Jahren in dieser Warteschleife.
Zwei Jahre lebte Bwansi geduldet in Passau im Lager. Zwei Jahre Warten. Zwei Jahre leben mit der Angst vor einer Abschiebung zurück in den Krieg in Uganda. Dann hatte er genug. Er wollte nicht so enden wie Mohamad Rahsepar.
Patras Bwansi freut sich. Er hat jetzt begonnen, Deutsch zu lernen. „Die Sprache ist das allerwichtigste Instrument, um sich in eine Gemeinschaft einfügen zu können.“
Deshalb organisieren sie nicht nur Sprachkurse im Camp, sondern auch Treffen mit Politikern, mit den Anwohnern. Nachdem es zu einem Überfall und einem großen Polizeieinsatz kam, haben die Campbewohner mit Hilfe von Unterstützern zu einem runden Tisch geladen, der Bezirksbürgermeister befürwortet diese Initiative – der runde Tisch soll zu einer regelmäßigen Einrichtung werden, damit Konflikte früh erkannt werden.
Bwansi hofft, dass sich im persönlichen Gesprächen mit den Menschen das Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft für die Situation von Flüchtlingen verändert. „Wir wollen den Menschen erklären, warum wir hier sind und warum wir kämpfen. Unser Traum ist die Freiheit aller Flüchtlinge.“
Deshalb haben die Campbewohner das Sonntagscafé ins Leben gerufen, um noch besser mit den Nachbarn in Kontakt zu kommen. Sie haben auch ein Theaterprojekt initiiert, ein Fußballturnier soll ausgerichtet werden. Eine große Fotoausstellung ist in Arbeit und ein Flüchtlingsmuseum wird geplant.
■ Die Nominierten: Sechs Kandidatinnen und Kandidaten hat unsere Jury für den Panter Preis 2013 vorausgewählt. Es ist ein Preis für Einzelpersonen und Initiativen, die sich mit großem persönlichem Einsatz für andere starkmachen und mutig Missstände aufdecken.
■ Die Verleihung: Jedes Jahr werden zwei mit je 5.000 Euro dotierte Preise verliehen. Den ersten vergibt eine taz-Jury mit prominenter Hilfe, den Preis der Leserinnen und Leser vergeben Sie. Der Preis wird am 14. September unter der Schirmherrschaft der taz Panter Stiftung im Deutschen Theater Berlin verliehen.
■ Die Porträts: Ab sofort stellen wir jede Woche in der taz.am wochenende einen Kandidaten oder eine Kandidatin vor. Die SeniorInnen der Stillen Straße aus Berlin-Pankow waren in der vorigen Woche die ersten der AspirantInnen für den Panter Preis 2013. Heute folgen die AktivistInnen des Flüchtlingscamps in Berlin. Ab 6. August haben Sie die Möglichkeit, Ihre Nummer eins zu wählen: per Mail (panter@taz.de), per Post oder auf www.taz.de/panter.
Sport, Musik, Unterhaltung – die Menschen im Camp brauchen etwas, das ihnen Abwechslung verschafft und vor allem Energie zurückbringt.
Das Leben der Flüchtlinge hat sich zu einem politischen Kampf entwickelt, der erst ganz am Anfang steht. Derzeit arbeiten sie daran, den Protest nach ganz Europa zu tragen – denn die restriktive deutsche Politik und die faktische Abschaffung des Asylrechts im Jahr 1993 führte zur Entwertung des Grundrechts auf Asyl in ganz Europa.
Inzwischen sind mehrere Protestcamps hinzugekommen – in Deutschland, in Österreich, Italien, den Niederlanden und anderen Ländern. „Mit Workshops und Konferenzen versuchen wir, Flüchtlinge europaweit zu mobilisieren.“ Open Speeches, bei denen die Flüchtlinge aus ihrem Leben berichten, werden veranstaltet. Damit wollen sie ihre Alltagswirklichkeit in das Bewusstsein der Bevölkerung tragen. „Auch wir sind Bürger“, erklärt Patras Bwansi mit kämpferischer Stimme. „Wir werden nicht aufgeben!“
Plötzlich ertönt ein Sprechchor aus einem der anderen Zelte – etwa zehn Personen skandieren dort „We are here, we will fight!“ Und wieder: „We are here, we will fight!“Und immer wieder: „We are here, we will fight!“
Der Kampf der Flüchtlinge um ein selbstbestimmtes Leben hat gerade erst begonnen.
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